16. Juli 2020 von Dr. Michael Winter
Kommunikation im Spannungsfeld Kunde, Vertrieb und Kundenservice
Die Herausforderungen für die richtige Interaktion mit dem Kunden
Ein kurzer Blick auf das Smartphone, die letzten ungelesenen Nachrichten durchscrollen und mit einem Emoji darauf reagieren – noch nie war die Kommunikation mit Freunden und der Familie so einfach und natürlich. Auch Versicherungen, die von Wettbewerbs- und Kostendruck getrieben verstärkt digitale Angebote entwickeln, würden gerne den Kundenkontakt deutlich häufiger über digitale Kanäle führen. Deshalb werden vor allem Chats und mobile Anwendungen von Unternehmen immer weiter ausgebaut. Investitionen in die traditionellen Kommunikationskanäle, wie die Agenturfiliale oder den telefonischen Kontakt, finden immer weniger statt.
Aber ist das tatsächlich auch der Kundenwunsch, mehr und mehr in die digitalen Kanäle „gedrängt“ zu werden? Und in welchen Fällen erwarten Kunden von einem modern aufgestellten Versicherungsunternehmen sogar ein digitales Angebot?
Die digitale Kommunikation aus Sicht der Versicherungsunternehmen
Die Vorteile der Digitalisierung von Geschäftsprozessen für die Versicherungsunternehmen liegen auf der Hand: Gerade in dieser beratungsintensiven Branche ist der Faktor Mensch einer der größten Kostenfaktoren. Digitale Services eröffnen hier Möglichkeiten, arbeitsintensive Elemente im Service zu reduzieren oder teure Agenturfilialen überflüssig zu machen. Zudem müssen Versicherungen auch deshalb verstärkt digitale Angebote entwickeln, weil sie sonst die jungen Leute nicht mehr erreichen, heißt es in einer Studie der Bitkom. Die Bundesbürger unter 30 Jahre erwarten überdurchschnittlich häufig eine digitale Kommunikation und Schadensabwicklung mit ihrer Versicherung.
Deshalb bauen Unternehmen vermehrt die Digitalisierung aus. Die Investitionen dafür rechnen sich aber nur dann, wenn die digitalen Leistungen auch vom Kunden angenommen werden. Das Risiko zu scheitern kann nämlich steigen, wenn der Wandel auf Kosten des traditionellen Kundenservices geht.
Aber woher sollen Versicherungsunternehmen nun wissen, in welchen Kommunikationskanal (digital oder traditionell) sie investieren sollen? Dazu müssen Versicherungen besser verstehen, aus welcher Motivation sich ihre Kunden für bestimmte Kommunikationskanäle entscheiden.
Die Qual der Wahl – oder was der richtige Kommunikationskanal für mich ist
Damit Kunden ein Online-Angebot gerne und häufig nutzen, müssen bestimmte Nutzerbedürfnisse befriedigt werden. Neben der Ungebundenheit von Zeit und Ort und dem Wunsch nach Informationsreduktion, ist eines der wichtigsten Bedürfnisse der Wunsch nach Selbstverwaltung.
Der Kunde wird immer selektiver, ob und welche Empfehlungen er an welcher Stelle in seinem Entscheidungsprozess für ein Produkt zulässt - frei nach dem Motto: „Nur ich kann die perfekte Wahl für mich treffen“. Der Wunsch nach Selbstverwaltung hat nun auch Einfluss auf die Wahl des bevorzugten Kommunikationskanals.
In seinem privaten Bereich ist es der Kunde gewohnt, in zunehmendem Maße soziale Medien und verschiedene digitale Kommunikationskanäle zu nutzen. Daher möchten Kunden grundsätzlich die Möglichkeit haben, mit ihrer Versicherung nicht nur über traditionelle Kanäle Kontakt aufzunehmen.
Ein Whitepaper der Firma Verint über das Kommunikationsverhalten von Kunden zeigt, dass der beliebteste Kommunikationskanal bei Versicherungskunden nach wie vor das klassische Telefon ist, gefolgt von einer persönlichen Beratung in den Agenturen.
In Abhängigkeit von der Komplexität einer Anfrage kann es jedoch Anwendungsfälle geben, wo sich der Kunde bewusst für einen digitalen Kanal entscheidet. Hintergrund ist meistens, dass die direkte Kommunikation mit einem Mitarbeitenden kompliziert sein kann. Sie erfordert Empathie, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, verschiedene Informationen zu verarbeiten. Daher neigen Kunden dazu, für einfache Anfragen, bei denen es eher um ein Abgeben zur Bearbeitung handelt, einen digitalen Kanal zu nutzen.
Betrachtet man nun die zur Verfügung stehenden digitalen Kanäle, ist die klassische E-Mail immer noch eine der beliebtesten Varianten. Oft wird dem Kunden allerdings auch kein weiterer digitaler Kanal angeboten. Hier gibt es allerdings für Versicherungen Hürden zu nehmen: Für Unterlagen mit besonders zu schützenden Daten darf nämlich der Versandweg über eine E-Mail nicht genutzt werden, selbst wenn sie verschlüsselt übermittelt wird.
Besonders zu schützen sind beispielsweise
- medizinische Daten,
- Daten, die nach § 203 Strafgesetzbuch der Schweigepflicht unterliegen. Dazu gehören Erkrankungen, Abläufe von Unfällen, Krankheitsverläufe, Diagnosen, Therapien, aber auch Wohn- und Lebensverhältnisse, Sucht- und Sexualverhalten, Finanzlage und Körperhygiene sowie
- Daten zu einer Personenversicherung (Kranken-, Lebens- oder Unfallversicherung).
Einige Versicherungsunternehmen stellen dem Kunden in diesen Fällen ein elektronisches Postfach zur Verfügung, das technisch zum Beispiel auf einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung basiert und damit die sichere Zustellung der Dokumente garantieren kann.
Dies ist natürlich mit nicht unerheblichen Kosten für die Entwicklung, Wartung und den Betrieb für das Versicherungsunternehmen verbunden und stellt außerdem für den Kunden einen zusätzlich und nicht unbedingt erwünschten Kommunikationskanal dar.
Moments of Non Confidence – wenn sich mein Wunsch nach Selbstverwaltung auflöst
In jedem Fall steigt, mit zunehmender Komplexität des Anliegens, beim Kunden der Wunsch nach persönlicher Betreuung. Die Komplexität führt dazu, dass sich Punkte häufen, an denen der Wunsch nach Selbstverwaltung reduziert oder sogar auslöscht wird (sogenannte Moments of Non-Confidence).
Dabei sind diese Moments of Non-Confidence weniger von der Art der Anwendungsfälle selbst, sondern mehr von der Einschätzung des einzelnen Kunden abhängig. Zum Beispiel ist der Anwendungsfall eines Vertragsabschlusses für eine Reisekranken- oder KFZ-Versicherung vielen Kunden durchaus als Self-Service vorstellbar. Ein Abschluss einer Kranken- oder Lebensversicherung ist es für sie in den meisten Fällen aber nicht.
Damit sucht der Kunde für diese komplexen Anliegen das direkte Gespräch mit einer echten Person, die Probleme löst, verbindliche Auskünfte gibt und Beratung anbietet - dies entweder am Telefon oder direkt in der Agentur.
Der Grund dafür ist, dass Menschen in der Lage sind, viele Informationen gleichzeitig zu verarbeiten. Sie können Anfragen mit vielen Kriterien verarbeiten, nonverbale Hinweise aufgreifen, Empathie zeigen und emotionale Intelligenz beweisen. Außerdem glaubt ein Großteil der Kunden, im direkten Gespräch bessere Konditionen aushandeln zu können und auch generell einen besseren Service zu bekommen als es online der Fall ist. Digitale Kanäle werden daher für sehr komplexe Anliegen selten genutzt.
Aber auch das Versicherungsunternehmen hat einen Vorteil durch den positiven Effekt der menschlichen Komponente. Es zeigt sich nämlich, dass sich Kunden im Anschluss an eine Interaktion über einen digitalen Kanal anders verhalten als über einen traditionellen Kanal. Kunden reagieren mit höherer Wahrscheinlichkeit positiv auf ein Unternehmen, nachdem sie mit einem Mitarbeitenden in der Agentur oder am Telefon gesprochen haben.
Das mag kein besonders überraschendes Ergebnis sein, da nur wenige Menschen das Gefühl haben, einem Computer danken zu müssen, weil er etwas für sie getan hat. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Kunden bedanken, wenn ein Mitarbeitender sich besonders viel Mühe für sie gegeben hat.
Konsequenzen für die digitale Kommunikationsstrategie von Versicherungen
Die steigende Erwartung der Kunden nach immer mehr digitalen Angeboten, gefolgt von den Kostensenkungen, die sich durch den Ausbau der digitalen Kommunikation ergeben können, sind mit Sicherheit ein Anreiz für Unternehmen, Teile des Kundenservices zu digitalisieren und zu automatisieren. Wenn sich Unternehmen zu stark auf digitale Interaktionen verlassen, besteht die Gefahr, dass diese möglicherweise keine dauerhafte und konstruktive Beziehung zu ihren Kunden aufbauen können.
Zieht man Bilanz, zeigt sich, dass weiterhin alle Kommunikationskanäle benötigt werden. Es wird keine erdrutschartigen Verschiebungen in Richtung digital oder zurück zum Telefon geben. Die Veränderungen werden eher schleichend sein. Das Fernsehen hat das Radio auch nicht komplett verdrängt. Dementsprechend werden digitale Kanäle menschliche Services nicht überflüssig machen.
Damit die digitalen Leistungen aber erst einmal vom Kunden angenommen werden, bietet es sich für Versicherungsunternehmen als eine kurzfristige, kundenorientierte Positionierung an. Bei der Bearbeitung von Anliegen mit geringerer Komplexität und einem geringeren Bedürfnis nach persönlichem Kontakt, sollte auf Self-Services gesetzt werden. Auch der Einstieg in Service- beziehungsweise Beratungsthemen kann digital geleistet werden, wenn der Prozess im Anschluss von realen Personen übernommen werden kann - egal ob dies dann über einen digitalen oder klassischen Kanal erfolgt.
Um sich schließlich langfristig vom puren Self-Service zur umfassenden Abbildung digitaler Customer Journeys zu bewegen, müssen Kunden zunehmend digital an die Hand genommen werden. Nur so können komplexere Interaktionen ermöglicht und zunehmende Moments of Non-Confidence frühzeitig erkannt und unterstützt werden.
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