28. Januar 2022 von Georg Benhöfer, Lars Zimmermann und Stephen Lorenzen
Habeck für Mach-3 – wie das BMWK mit Überschall die Klimaziele erreichen will
Die Energiewirtschaft ist aktuell so medial präsent wie selten zuvor. Auch außerhalb der Fachpresse ist sie mit unterschiedlichen Themen seit Wochen regelmäßig auf den Titelseiten verschiedener Tageszeitungen zu finden. In die Reihe der Themen rund um die umstrittene Gaspipeline NordStream2, den Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition und die steigenden Energiepreise, reiht sich nun auch die „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ ein, die das BMWK vor einigen Tagen vorgestellt hat.
Wir haben uns das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck präsentierte Papier angeschaut und fassen die wichtigsten Punkte zusammen:
State the obvious
Im Sinne einer Bilanz startet das BMWK mit dem Blick auf die Habenseite. Dass diese im Bereich von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele relativ ernüchternd ausfällt, dürfte aufmerksame Beobachterinnen und Beobachter ebenso wenig überraschen wie den grünen Klimaminister selbst.
Konkret kündigt das BMWK bereits heute für die Jahre 2022 und 2023 eine Verfehlung der Klimaziele an. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen seien in allen Sektoren so unzureichend, dass sämtliche Klimaziele für 2030 verfehlt werden – wenn nicht entschieden nachgebessert wird.
Während die Emissionen in den vergangenen Jahren durchschnittlich um 15 Millionen Tonnen pro Jahr gesunken sind, müssen sie ab sofort um jährlich 36 bis 41 Millionen Tonnen sinken. Habeck spricht daher von einer Reduktionsgeschwindigkeit, die sich nahezu verdreifachen muss.
Einen besonderen Fokus legt die Eröffnungsbilanz Klimaschutz auf die Energiewirtschaft, deren CO2-Emissionen 2021 weiter gestiegen sind. Für eine Trendumkehr müsse der Ausbau erneuerbarer Energien drastisch beschleunigt und Hemmnisse, beispielsweise lange Genehmigungsverfahren, müssten aus dem Weg geräumt werden.
Ambitionierte Ziele
Übergeordnetes Ziel ist die Klimaneutralität bis 2045. Zudem soll der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch von heute rund 42 Prozent auf 80 Prozent bis 2030 gesteigert werden.
Um dies zu ermöglichen, muss vor allem der regulatorische Rahmen angepasst werden, um bestehende Hürden zu beseitigen und entsprechende Anreize zu schaffen. Das BMWK kündigt an, alle zur Zielerreichung nötigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen bis Ende 2022 so weit vorangetrieben zu haben, dass entsprechende Verfahren noch in diesem Jahr abgeschlossen sind. Dieses ambitionierte Vorhaben firmiert unter dem Namen „Klimaschutz-Sofortprogramm“. Ein erster Teil dieses Programms soll bereits bis Ende April 2022 veröffentlicht werden.
Klimaschutz-Sofortprogramm
Eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) soll insbesondere die Weichen für das Ziel eines Anteils von 80 Prozent erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030 stellen. Konkret benennt das BMWK bisher eine Erhöhung der Ausschreibungsmengen. Außerdem soll der Grundsatz verankert werden, dass der EE-Ausbau im „überragenden öffentlichen Interesse“ ist sowie der „öffentlichen Sicherheit“ dient. Insbesondere Letzteres mag nach einem kleinen Detail und bloßer Formulierung von Wünschen klingen. Politisch dürfte die Diskussion um diese Formulierungen jedoch einigen Sprengstoff bereithalten. Man denke beispielsweise an Abstandsregelungen, die für den Ausbau von Windkraftanlagen eine Hürde darstellen. Diese und andere ähnlich gelagerte Regelungen sind aktuell Ländersache. Der Bund hat entsprechend wenig Einflussmöglichkeiten auf den Abbau solcher Hürden. Wird der Ausbau erneuerbarer Energien künftig jedoch in einem Bundesgesetz, wie dem EEG, direkt an die Wahrung der öffentlichen Sicherheit geknüpft, stünde die Entscheidungsgewalt der Länder in solchen Belangen in Frage.
Beim Solarbeschleunigungspaket soll der Name Programm werden. Angekündigt sind insbesondere eine Verbesserung beim Mieterstrom sowie die Anhebung der Ausschreibungsschwellen. Den Konflikt um geeignete Flächen für Freiflächenanlagen mit dem Naturschutz spricht das Papier des BMWK direkt an und unterstreicht, Naturschutzkriterien einhalten zu wollen. Zudem soll gesetzlich festgeschrieben werden, alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie zu nutzen. Bei gewerblichen Neubauten wird dies verpflichtend.
Das Wind-an-Land-Gesetz soll den Ausbau von Windkraftanlagen beschleunigen. Dafür sollen gesetzlich 2 Prozent der Landesfläche für Windenergie reserviert werden. Außerdem soll das Gesetz Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen.
Die Wärmeenergie soll bis 2030 zu 50 Prozent klimaneutral erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll eine neue „Gebäudestrategie Klimaneutralität“ erarbeitet werden. Konkret benannt sind dahingehend die Steigerung der Energieeffizienz und der Ausbau von Wärmenetzen. Die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) soll zu diesem Zweck aufgestockt werden.
Für die Anhebung der Gebäudestandards soll es eine Anpassung des Gebäudeenergiegesetzes geben. Ab 2025 soll jede neugebaute Heizung auf Basis von mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden. Zudem werden auch in diesem Bereich die Fördertöpfe angepasst, um für Investitionen, die im Einklang mit den Klimazielen stehen, Anreize zu schaffen.
Zur Unterstützung der Transformation der Industrie sollen gesetzliche Grundlagen für die Einführung sogenannter Klimaschutzdifferenzverträge geschaffen werden. Bekannter ist dieses Instrument unter dem englischen Namen „Carbon Contracts for Difference“. Diese Verträge können Unternehmen mit dem Staat schließen, um über sie – stark vereinfacht gesagt – die Differenz zwischen CO2-Vermeidungskosten und CO2-Vermeidungsgewinn auszugleichen. Sind die CO2-Vermeidungskosten (zum Beispiel Investitionsmaßnahmen in Energieeffizienz) höher als der CO2-Vermeidungsgewinn (vermiedene Ausgaben für CO2-Zertifikate), übernimmt der Staat die Differenz. Im umgekehrten Fall muss das Unternehmen die Differenz zahlen.
Wasserstoff ist aktuell in aller Munde. Auch das BMWK setzt auf die Wasserstofftechnologie und will die bisher geplanten Produktionskapazitäten verdoppeln. Hierfür soll die Nationale Wasserstoffstrategie überarbeitet werden und entsprechende Förderprogramme sollen auf den Weg gebracht werden.
Anschnallen beim Durchbrechen der Schallmauer
Der Bundeswirtschaftsminister hat mit der Eröffnungsbilanz Klimaschutz deutlich gemacht, dass zur Erreichung der Klimaziele noch einiges zu tun ist. Die angekündigten Ziele und Maßnahmen sind ambitioniert. Insbesondere die Ankündigung, alle nötigen gesetzlichen Vorhaben noch in diesem Jahr abzuschließen, kann einen ins Staunen versetzen.
Für die Energiewirtschaft hält die Transformation des Energiesystems viele große Herausforderungen bereit – das ist keine Neuigkeit. Sollten die oben genannten Ziele allerdings tatsächlich mit den angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden, kann es turbulent werden. Mach 3 wurde angekündigt – wir schnallen uns schon mal an.
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