2. Juni 2020 von Christopher Wildt
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) als stiefmütterlicher Geschäftszweig trotz Wachstumspotenzial
Wo stehen wir?
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) ist in den letzten Jahren durch die Hilfe des Gesetzgebers - in Form des Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) - weiter in den Fokus von Arbeitnehmenden, Arbeitgebern und Versicherungsvermittlern gerückt. Trotz der staatlichen Weichenstellung und des steigenden Bekanntheitsgrades, besteht in der bAV weiterhin ein großer Nachholbedarf sowie ein großes Potenzial für die Versicherungsgesellschaften.
Die Betrachtung der Bestandszahlen der bAV, als zweite Säule der Altersversorgung, im Vergleich zu der privaten Zusatzversorgung, macht dies deutlich. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) veröffentlichte für das Kalenderjahr 2018 folgende Bestandszahlen für die Bundesrepublik:
- Gesamtbestand an privaten Kapital- und Rentenversicherungen: 64,9 Millionen
- Gesamtbestand an betrieblichen Altersversorgungen (Direktversicherung, Pensionskassen, Pensionsfonds und Rückdeckungsversicherungen): 16,1 Millionen
Auch wenn der Versicherungsbestand der Riester-Renten, als zweiter steuerlich geförderter Geschäftszweig, dazu addiert wird, kommt man lediglich auf einen Gesamtbestand von 26,7 Millionen Versicherungsverträgen. Bei einer Anzahl von bereits 33,4 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland (Stand: 2019) besteht daher noch viel Spielraum bis zu einer möglichen Marktsättigung.
Es lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass es nicht an dem fehlenden Willen der Geschäftsfelderschließung oder an dem fehlenden Bewusstsein der Arbeitnehmenden über ihre mögliche Versorgungslücke liegt. Vielmehr an dem komplexen und fachlich anspruchsvollen Umfeld der betrieblichen Altersversorgung.
Problemfelder
Doch was macht genau dieses Geschäftsfeld so komplex und fachlich anspruchsvoll, dass weiterhin ein großes Marktpotenzial besteht? Um der Ursache auf den Grund zu gehen, betrachten wir einmal gemeinsam die drei Vertragsphasen eines Versicherungsvertrags, ohne die Berücksichtig eines speziellen Durchführungswegs.
Anbahnungsphase:
Aufgrund des fachlichen Erklärungsbedarfs besteht lediglich bei einer geringen Anzahl von Versicherungsgesellschaften die Möglichkeit einer Onlineberechnung. Dies führt dazu, dass die Arbeitnehmenden oder die Personalabteilung gezwungen sind, einen Versicherungsvermittler mit der Zusendung eines Angebots zu beauftragen. Dies gilt für Neukunden sowie für eine Vielzahl von bereits bestehenden Rahmen-/Kollektivversicherungsverträgen, bei denen keine Möglichkeit zur Onlineberechnung besteht. Für einen Arbeitgeber, der sich durch Veränderungen in der Belegschaft in einem dynamischen Umfeld bewegt und einem Arbeitnehmenden, der eine schnelle sowie vergleichbare Beispielrechnung wünscht, könnte dies bereits die erste Hürde darstellen.
Im üblichen Verlauf wird daher das Angebot vom Versicherungsvertreter erstellt. Dies stellt sich allerdings oftmals nicht als ein Selbstgänger heraus - beispielsweise die Angebotsanforderung für eine Kraftfahrzeugversicherung. Die Ursache hierfür sind beispielsweise fehlende vertriebsspezifische Anwendungen im Backoffice, welche die Gestaltung und Kommunikation von Angeboten möglich machen.
Das Resultat ist eine Störung der Produktionsketten und eine vermeidbar reaktive Vorgehensweise seitens der Versicherungsgesellschaft, die der Vermittler vor dem Kunden rechtfertigen muss. Dieser Prozess führt unvermeidlich zu unzufriedenen Kunden und im schlimmsten Fall zur frühzeitigen Störung und Beendigung der Kundenakquise.
Anwartschafts- und Leistungsphase:
Liegt bereits eine gute Gestaltung von Backoffice- und Kommunikationsanwendungen zur Vertriebsunterstützung vor, ist dies leider immer noch kein hundertprozentiger Garant für einen einwandfreien Versicherungsverlauf und -ablauf. Auch in diesen Phasen steht man oft vor vielen Hindernissen im Geschäftsfeld der betrieblichen Altersversorgung, welche die aktive Durchdringung des Geschäftsfelds lähmen.
Eine Ursache ist oftmals bereits eine unpassende Systemlandschaft zur Verwaltung der Versicherungsbestände. Eine gängige Praxis ist die Anbindung des bAV-Bestands an das Bestandsführungssystem der privaten Lebens- und Rentenversicherung. Sofern dies nicht mit der erforderlichen technischen Anpassung erfolgt, ist eine Befriedigung der bAV-Bedürfnisse ausgeschlossen. Die Konsequenz ist eine schlechte Performance im Versicherungsbetrieb, da einfachste Möglichkeiten zur Schnittstellenbedienung, zur Abwicklung von automatisierten Massengeschäftsvorfällen oder zur flexiblen Erfüllung von Vertriebs- oder Kundenanfragen fehlen.
Aber auch das fachlich anspruchsvolle Umfeld der bAV trägt zur Hemmung der Geschäftsfelderweiterung bei. Viele Arbeitnehmende und Vertriebspartner wünschen sich bessere Kommunikation sowie unterstützende Maßnahmen aus dem Versicherungsbetrieb. Dies ist nur durch eine abgestimmte Organisationsstruktur, den erforderlichen technischen Werkzeugen und dem notwendigen Know-how aus dem Versicherungsbetrieb darstellbar.
Fazit
Liegt die Ursache in der Performance der Administrationsplattform oder an fehlenden Vertriebs- und kundenunterstützenden Tools wie Portallösungen? Fehlen die Vernetzung von internen und externen Schnittstellen, Supportfunktionen für Standardisierungen und Automatisierungen oder Self-Services?
Die Identifizierung mit den Fragen macht deutlich, dass die Digitalisierung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bislang noch nicht in allen Organisationen Einzug gefunden hat. Verpasst also nicht die vielversprechenden Chancen in diesem Geschäftsfeld und startet euer individuelles Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung der bAV-Prozesse, -Projekte und -Produkte.