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Die Strom- und Gaskrise befindet sich auf einem Höhepunkt. Grund genug für die deutsche Bundesregierung, nun drastische Maßnahmen zu ergreifen, um die Folgen des geostrategischen Konflikts abzufedern. Am 29.09.2022 stellte die Regierung ein Energie-Hilfspaket in Höhe von 200 Milliarden Euro vor. Bundeskanzler Scholz sprach von einem „Doppelwumms“, Bundesfinanzminister Lindner von einem „Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit“. 200 Milliarden Euro sollen nun Abhilfe schaffen. Und die umstrittene Gasumlage? Die verschwindet von der Bildfläche. Was hinter diesem astronomischen Energie-Hilfspaket steckt, erfahrt ihr in diesem Blog-Beitrag.

200 Milliarden Euro? Wofür eigentlich?

Wie die Bundesregierung am 29.09.2022 bekannt gegeben hat, soll das Paket aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) finanziert werden, der ursprünglich eingerichtet wurde, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern. Obwohl der WSF im Sommer offiziell ausgelaufen ist, soll er nun mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von 200 Milliarden Euro ausgestattet werden. Der Abwehrschirm umfasst folgende Maßnahmen:

1. Angebot ausweiten, Verbrauch senken:

Wie es in dem Papier heißt, sollen durch Ausweitung des Energieangebotes und Verringerung des Verbrauchs die Gaspreise wieder sinken. Erreicht werden soll dies im Wesentlichen durch das forcierte Ausbauen und Ausschöpfen der Potenziale erneuerbarer Energien (insbesondere im Bereich der Offshore-Windanlagen), die Kohleverstromung, den Aufbau der sogenannten Flüssiggasterminals (LNG-Terminals) sowie durch den Weiterbetrieb aller drei Atomkraftwerke bis April 2023. Zu den bereits konkret ergriffenen Maßnahmen zählen Verordnungen zur Senkung des Energieverbrauchs (in unserem letzten Blog-Beitrag haben wir uns diesem Thema gewidmet), die Einführung eines Regelenergieproduktes, das Aufsetzen einer umfassenden Energiesparkampagne und Maßnahmen zur Energieeinsparung und Steigerung der Energieeffizienz.

2. Strompreisbremse:

Der sogenannte „Basisverbrauch“ soll sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Gewerbetreibende subventioniert werden. Über den Basisverbrauch hinaus gelten die alten Marktpreise. So werden Verbraucherinnen und Verbraucher entlastet und zugleich zur Reduktion des Verbrauchs angeregt. Finanziert werden soll die Strompreisbremse durch die „sehr starken Zufallsgewinne“, die derzeit von „Nicht-Gaskraftwerken“ erzielt werden.

3. Gaspreisbremse:

Die Gaspreisbremse soll die in Hochpreisphasen auftretenden Belastungen für Haushalte und Unternehmen abfedern. Hier gab es bereits von der Expertenkommission Gas und Wärme, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Industrie und Gewerkschaften, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Gesetzgebenden zusammensetzt, am 10.10.2022 den initialen Vorschlag zur Einführung eines zweistufigen Systems. Das Stufenkonzept gilt lediglich für sogenannte SLP-Kunden (Standardlastprofil, private Haushalte und klein- und mittelständische Unternehmen (KMU)) und umfasst folgende Kerninhalte:

  • Stufe 1 (Einmalzahlungen): In dem Vorschlag der Expertenkommission heißt es, dass Gaskundinnen und -kunden bereits im Dezember 2022 eine Einmalzahlung auf Basis des Verbrauchs, welcher der Abschlagszahlung aus September 2022 zugrunde gelegt wurde, erhalten. Diese Einmalzahlung dient als finanzielle Brücke bis zur regulären Einführung der Gaspreisbremse.
  • Stufe 2 (Gas- und Wärmepreisbremse): Von März 2023 bis April 2024 würden private Haushalte und KMU für die ersten 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs 0,12 Euro pro Kilowattstunde zahlen. Für den darüberhinausgehenden Verbrauch müssten Kundinnen und Kunden die marktüblichen Tarife zahlen.
  • Regelung für industrielle Verbraucher: Große Industrieunternehmen würden bereits ab Januar 2023 für die ersten 70 Prozent ihrer Gasrechnung für 16 Monate einen festen Satz von 0,07 Euro pro Kilowattstunde zahlen.
4. Reaktivierung und Neuausrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds:

Die Nutzung des mit zusätzlichen Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro ausgestatteten WSF soll sich auf die Erfüllung folgender Aufgaben begrenzen:

  • Finanzierung der oben dargestellten Gaspreisbremse
  • Bereitstellung von Liquidität und Zuschüssen für die Strompreisbremse, zusätzlich zu der Abschöpfung der Zufallsgewinne der Stromerzeuger
  • Finanzierung weiterer Stützungsmaßnahmen für Unternehmen, die nicht in ausreichendem Ausmaß von der Strom- und Gaspreisbremse erfasst werden
  • Ersatzbeschaffungskosten für die für die Marktstabilität relevanten Gasimporteure  etwa SEFE, Uniper und VNG.
5. EU-Solidarabgabe für Unternehmen im Energiebereich:

Die Regierung begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission zur „Einführung einer Solidarabgabe für Unternehmen im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich“.

6. Reduzierung Umsatzsteuer Gas:

Bis zum Frühjahr 2024 soll die Umsatzsteuer auf Gas und Fernwärme auf sieben Prozent gesenkt werden.

7. Vermeidung unverhältnismäßiger Bürokratie:

Die Bundesregierung möchte sich dafür einsetzen, dass keine unverhältnismäßigen zusätzlichen Bürokratielasten die Wirtschaft beeinträchtigen.

Gasumlage verschwindet von der Bildfläche

Der Bundeswirtschaftsminister bekräftigte, dass die Gasumlage per Verordnung eingeführt worden sei und per Verordnung zurückgezogen werde. Die im Abwehrschirm enthaltenen Maßnahmen machen die umstrittene Gasumlage hinfällig. Diese hatte sich in den letzten Wochen gesellschaftlich zum Politikum entwickelt. Geplant sollte die Gasumlage zum 01.10.2022 in Kraft treten. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten einen zusätzlichen Aufschlag zahlen, um die Wirtschaftlichkeit der in Schwierigkeit geratenen Energiekonzerne abzusichern. Nun wurde die Gasumlage wenig später wieder gekippt.

Noch ist nichts in trockenen Tüchern

Der 200 Milliarden Euro schwere Abwehrschirm stellt ein mächtiges Instrument dar. Die Entlastungen scheinen nicht unerheblich, um auf dem Papier tatsächlich Abhilfe zu schaffen. Unklar ist allerdings, wie viel Geld für die einzelnen Teilmaßnahmen ausgegeben werden soll. Ebenso bleibt abzuwarten, wie sich das zweistufige Verfahren administrativ beziehungsweise operativ ausgestaltet. Gleichzeitig hagelt es Kritik von mehreren Seiten. So warnten führende Wirtschaftsforschungsinstitute davor, dass eine Gaspreisbremse die ohnehin schon hohe Inflation weiter anfachen könnte. Außerdem sind nach Ansicht von Kritikerinnen und Kritikern die Anreize, das knappe Gas zu sparen, noch zu niedrig. Auch auf europäischer Ebene zeigte man sich entrüstet über die Pläne der Bundesregierung. So fasste der französische Präsident Emmanuel Macron zusammen, die Maßnahmen hätten zu Spannungen zwischen Ländern geführt, die ein so großes Paket auf nationaler Ebene nicht finanzieren können. Das Energiepaket schaffe einen unfairen Vorteil für deutsche Unternehmen auf dem europäischen Energiemarkt. Es bleibt also spannend für die Bundesregierung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene scheint noch eine Menge Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten zu sein. Wir halten euch auf dem Laufenden.

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Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienenen Blog-Beiträgen.

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Autor Stephen Lorenzen

Stephen Lorenzen ist Managing Consultant und seit fast sechs Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Er versteht sich als pragmatischer und interdisziplinärer Allroundberater mit mehrjähriger Berufserfahrung in den Bereichen Innovationsmanagement, Requirements Engineering sowie klassischem und agilem Projektmanagement.

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Autor Georg Benhöfer

Georg Benhöfer ist Leiter des Themenschwerpunkts Regulierung in der Energiewirtschaft bei adesso. Als Senior Consultant mit Fokus auf die Gestaltung und Umsetzung von sowohl klassischen als auch agilen Digitalisierungsprojekten begleitet er seit vielen Jahren Unternehmen der Energiewirtschaft als Projektleiter, Fachexperte und strategischer Berater.

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Autor Lars Zimmermann

Lars Zimmermann ist Senior Consultant bei adesso und seit knapp zehn Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte bildeten hierbei Prozesse der Abrechnung, des Kontokorrents und der Tarifierung. Darüber hinaus beschäftigt er sich intensiv mit dem Wettbewerb und der Regulierung in der Energiewirtschaft.

Kategorie:

Branchen

Schlagwörter:

Energiewirtschaft

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