3. Juni 2022 von Zoe Holdt, Julius Glaser und Fabian Forkl
Wasserstoff: Die Entwicklung eines aufstrebenden Marktes
Gas ist und bleibt eine tragende Säule der Energiewirtschaft: Über ein Viertel des Primärenergiebedarfs hierzulande wird durch Gas abgedeckt, genauer gesagt: durch Erdgas.
Über ein verzweigtes Pipeline-Netz importiert Deutschland Gas aktuell vor allem aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. In Anbetracht des gegenwärtigen Angriffskrieges sind die Gaslieferungen aus Russland allerdings stark umstritten. Gesenkt werden soll der Anteil russischer Gaslieferungen vor allem durch den Kauf von verflüssigtem Erdgas, sogenanntem LNG (Liquified Natural Gas).
Dieses setzt jedoch nicht nur bei der Verbrennung CO2 frei, hinzu kommt, dass der Prozess der Verflüssigung, die Kühlung beim Transport, der Transport selbst und die Regasifizierung am Importterminal sehr energieaufwändig sind.
Es braucht also eine grüne Alternative
Genau hier kommt Wasserstoff ins Spiel: Vor allem grün erzeugt (mit Hilfe erneuerbarer Energien) würde er einen klimafreundlichen Einsatz von Gas ermöglichen. Für das Jahr 2030 prognostiziert die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung einen Wasserstoffbedarf von 90 bis 110 TWh, der heutige Bedarf liegt bei etwa der Hälfte. Hierfür bedarf es jedoch nicht nur umfassender Erzeugungskapazitäten, sondern auch großer Importmengen, die wiederum entsprechende Handels- und Marktstrukturen erfordern.
Wasserstoff wird heutzutage vor allem lokal erzeugt und verarbeitet. Überregionale Handelsstrukturen sind derzeit nur schwach ausgeprägt. Mit dem Vorhaben der NWS und ambitionierten klimapolitischen Zielen soll Wasserstoff sich jedoch langfristig als genutzter Energieträger international etablieren.
Wasserstoff soll aufgrund seiner zentralen Rolle für die Dekarbonisierung Deutschlands weitläufig in der Industrie und Wirtschaft etabliert werden. Dieses Vorhaben erfordert wiederum einen zugehörigen Marktplatz und Handelsstrukturen. Aber wie kann sich so ein Markt entwickeln? Eine vergangene Studie vom BDEW prognostiziert hierzu vier grobe Entwicklungsstufen bis 2050.
1.) Isolierte „Wasserstoff-Inseln“
Erzeugung und Verbrauch beschränken sich in diesem Reifegrad auf den lokalen Markt sowie bilaterale Beziehungen zwischen Marktteilnehmern. Hierzu laufen bereits diverse Pilotprojekte in Deutschland.
2.) Wasserstoffproduktions-Hubs
In dieser prognostizierten Entwicklungsstufe erweitern sich die Versorgungsbeziehungen vom lokalen hin zum regionalen Markt (Deutschland/EU-Ebene).
3.) Regionaler Handel zwischen Hubs
Als nächster Reifegrad direkt im Anschluss bilden sich Handelsbeziehungen zwischen den regionalen Produktions-Hubs, die „Kommodifizierung“ findet statt.
4.) Globaler Handel zwischen Wasserstoffmärkten
Im letzten Reifegrad entstehen langfristige Liefer- und Handelsbeziehungen auf globaler Ebene (Atlantik/Pazifik).
Klar ist, dass diese Entwicklungsstufen einer Vielzahl an Abhängigkeiten und damit verbundenen Annahmen unterliegen. Um den Wasserstoffmarkt von einem bilateralen Austausch zu einem globalen Marktplatz zu wandeln, bedarf es erheblicher Investitionen (zum Beispiel, um eine Infrastruktur mit Pipelines, Terminals und Speichereinheiten zu errichten, eine entsprechende Logistik aufzubauen, standardisierte Handelsverträge zu etablieren und einen Zugang zu handelsfähigen Gasmengen zu schaffen).
Der wohl wichtigste Treiber in der Entwicklung eines langfristig stabilen und funktionierenden Wasserstoffmarkts ist die Politik. Nicht nur die Herstellung, sondern auch die Nutzung von Wasserstoff muss an Attraktivität gewinnen, um Bedarfs- und somit auch Handelsmengen zu steigern. Großzügige Subventionen, entsprechende Fördermittel oder staatliche Zuschüsse für den Einsatz CO2-armer Technologien, etwa durch sogenannte „Carbon Contracts for Difference“ (CCfD), sind dafür nur einige Beispiele. Es bedarf Handelskooperationen mit Nachbar- und Partnerländern, des Aus- und Aufbaus eines Transportnetzes sowie der Klärung von Handels-, Leitungs- und Patentrechten. Wasserstoff muss eine Anbindung an bestehende Energiebörsen erfahren und sollte flexibel in den Strom- und Gasmarkt integriert werden. Wer mehr zu den Hausaufgaben der Politik in diesem Zusammenhang erfahren möchte, sei an dieser Stelle auf diesen Blog-Beitrag hingewiesen.
Die Chancen und Risiken für die Etablierung des Wasserstoffmarkts sind vielschichtig
Es entsteht ein neuer Markt des Wasserstoffhandels mit den Bereichen der kommerziellen Wasserstoffherstellung und -speicherung, dem Transport des Wasserstoffs, einer Handelsplattform und der Umwandlung in Endenergie.
Da Wasserstoff ein speicherbares und transportierfähiges Gut ist, entstehen neue Chancen des bilateralen Handels zwischen Ländern, die bisher noch keinen Energiehandel untereinander betrieben haben. Dies wird die Außenpolitik sowie den Energiemarkt selbst stark beeinflussen und zu einem geographischen Wandel des Energiehandels führen. Die Energiepolitik verschiedener Länder könnte sich somit innenpolitisch stark oder sogar komplett verändern und müsste an diese neue Gegebenheit angepasst werden.
Doch auch der Handel mit Wasserstoff hat seine Grenzen: Viele Länder mit guten Produktionsbedingungen können schlecht oder gar nicht über eine Pipeline an den europäischen Markt angeschlossen werden. Beispielsweise können sich Schiffstransporte wegen der notwendigen Kühlung auf etwa –250 Grad Celsius und der vergleichsweise niedrigen Energiedichte oft als unökonomisch erweisen. Hoher finanzieller Aufwand wird erforderlich sein, um die Entwicklungen voranzutreiben und in Industrie und Gesellschaft zu verankern. Nicht zuletzt ist die Marktplattform mit ihrem Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage der Mechanismus für „den Preis“, der wiederum für die Verbraucherinnen und Verbraucher die entscheidende Rolle spielt.
Bei diesen Marktentwicklungsprozessen gibt es diverse Möglichkeiten mit dem Fokus auf IT und Prozessen, um Akteuren am Wasserstoffmarkt bei der Aufnahme von Anforderungen sowie der Schaffung von notwendigen Strukturen (technisch und organisatorisch) zur Seite zu stehen.