17. Juli 2024 von Stefanie Ehrlich
Was tun, damit eine Gesundheits-App kein Medizinprodukt wird?
Viele Pharma- oder Gesundheitsfirmen möchten ihren Patienteninnen und Patienten sowie Kundinnen und Kunden Apps als Add-ons zu Medikamenten, Therapien oder Gesundheitsprodukten zur Verfügung stellen. Häufig geht es dabei nicht nur um die Vermittlung erweiterter Informationen, sondern auch um die Erhöhung der Compliance durch Trackingmöglichkeiten des allgemeinen und insbesondere des zu beobachtenden Gesundheitszustandes. Beispielsweise indem eine Tagebuchfunktion zur Verfügung gestellt wird und so ein genaueres Bild des Befindens über die Zeit dokumentiert werden kann. Diese Daten können dann im besten Fall die Behandlung bei der Ärztin oder des Arztes:in vor Ort unterstützen. Die Wünsche, Patientinnen und Patienten sowie Kundinnen und Kunden digital zu unterstützen und zudem erweitert als Gesundheitspartner aufzutreten, treibt Pharma- und Gesundheitsfirmen an. Allerdings begeben sich diese Firmen damit schnell auf den schmalen Pfad zum Medizinprodukt.
Häufig schrecken die für solche Anwendungen verantwortlichen Marketingfachleute jedoch vor der Entwicklung eines Medizinproduktes zurück. Kein Wunder. Wird aus einer App ein Medizinprodukt, muss bereits vor der ersten Konzeption sichergestellt werden, dass die strengen regulatorischen Anforderungen bei der Entwicklung berücksichtigt werden. Einen Überblick, wie umfangreich diese sind und sein können, gibt meine Kollegin in ihrem Blogbeitrag zum Thema „Requirements Engineering für Medizinprodukte “. Mit erhöhten Aufwänden ist auch während des Entwicklungsprozesses zu rechnen, aber auch nach der Zulassung und dem Inverkehrbringen ist eine kontinuierliche Überwachung der App als Medizinprodukt notwendig und sorgt für eine langfristige Bindung des Herstellers und damit von Ressourcen.
Um dennoch den Sinn und Zweck für die Patientinnen und Patienten mit der unterstützenden App zu ermöglichen, benötigen viele Firmen Beratung, was eine App im medizinischen Sinne beinhalten und leisten darf, um explizit nicht zum Medizinprodukt zu werden. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die relevanten Punkte gegeben.
Medizinprodukt? Nein danke!
Was genau ein Medizinprodukt ist, regelt in der Europäischen Union die Medical Device Regulation (MDR). Soll eine App entwickelt werden, die nicht in die Kategorie Medizinprodukt fällt, lohnt sich ein Blick auf die Voraussetzungen. Anhand der folgenden Checkliste kann überprüft werden, ob es sich bei der Human-App tatsächlich um ein Medizinprodukt handelt.
Wenn nur eine Frage mit „Ja“ beantwortet werden kann, ist dies der Fall. Können alle Fragen mit „Nein“ beantwortet werden, ist darauf zu achten, dass die App die Grenze zum Medizinprodukt nicht überschreitet.
Folgende Punkte sind im Folgenden zu beachten:
Verwendungszweck klar definieren:
- Stellt sicher, dass die App keine medizinische Zweckbestimmung hat. Das bedeutet, dass die App nicht zur Diagnose, Behandlung, Überwachung oder Linderung von Krankheiten oder Verletzungen von menschlichen Patientinnen und Patienten sowie Kundinnen und Kunden verwendet werden darf, wie bereits in der Checkliste zu sehen ist.
Funktionalität der App:
- Implementierung von App-Funktionen, die nur allgemeine Wellness- oder Fitnessfunktionen bieten, wie zum Beispiel Schrittzähler, Kalorienzähler, allgemeine Gesundheitsinformationen, Motivationshilfen für gesunde Lebensgewohnheiten etc.
- Vermeidung von Funktionen, die explizit für medizinische Zwecke genutzt werden können, wie beispielsweise die Überwachung chronischer Krankheiten, die Bereitstellung von Therapieempfehlungen oder die Übermittlung von Daten an den behandelnden Arzt.
Haftungsausschlüsse und Nutzungsbedingungen
- Definition klarer Haftungsausschlüsse und Nutzungsbedingungen, aus denen hervorgeht, dass die App nicht für medizinische Zwecke bestimmt ist und keine medizinischen Ratschläge gibt.
Werbung und Marketing:
- Abgrenzung in der Werbung, im Marketingmaterial oder in der Beschreibung der App und Vermeidung von Aussagen, die suggerieren, dass die App medizinischen Zwecken dient.
- Vermeidung von medizinischen Begriffen wie „Diagnose“, „Therapie“, „Behandlung“, „medizinisch“ etc.
Kein Medizinprodukt! Sicher?
Neben den Inhalten und allen Informationen, die für das Inverkehrbringen und Bewerben der App notwendig sind, müssen gegebenenfalls weitere Details geklärt werden, um sicherzustellen, dass es sich nicht ungewollt um ein Medizinprodukt handelt. Wie oben erläutert, lohnt es sich, bereits vor der Entwicklung der App Expertinnen und Experten für das Medizinprodukterecht hinzuzuziehen. Ebenso sollte durch eine Rechtsberatung geprüft werden, ob alle rechtlichen Anforderungen nicht nur des Herstellerlandes, sondern insbesondere auch der Länder, in denen die App veröffentlicht werden soll, berücksichtigt wurden. Gelten in der EU die Anforderungen der MDR, so sind es beispielsweise in den USA die Richtlinien der Food and Drug Administration (FDA). Die Beurteilung, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt, kann daher je nach Land unterschiedlich ausfallen.
Diesbezüglich sollten auch interne Prozesse etabliert werden, die eine regelmäßige Bewertung der implementierten App-Funktionen durchführen. Diese sollten sicherstellen, dass die App nicht durch eine Aktualisierung oder Überarbeitung der gesetzlichen Vorgaben ungewollt in die Klassifizierung eines Medizinproduktes in den verschiedenen Ländern fällt. Auch bei der Implementierung neuer Funktionen oder Updates der App sollte jedes Mal eine erneute Analyse durchgeführt werden. Dabei sollte sichergestellt werden, dass die App nicht in allen zu berücksichtigenden Ländern die Grenze zum Medizinprodukt überschreitet. Beide beschriebenen Überwachungsmaßnahmen gelten für den gesamten Produktlebenszyklus der App. Inverkehrbringer und andere Verantwortliche der App sollten sich bewusst sein, dass diese Aufwände auch oder gerade dann auf sie zukommen, wenn die App nicht als Medizinprodukt entwickelt wurde. Neben dem Überwachungsaufwand einer Gesundheits-App sollte daher immer auch eine Überwachungsphase des Medizinproduktestatus eingeplant und berücksichtigt werden.
Fazit
Insbesondere im Gesundheitsbereich ist die Bereitstellung von Apps für Patientinnen und Patienten sowie Kundinnen und Kunden ein streng reglementierter Prozess. Als Marketingverantwortliche(r) eines Pharma- oder Gesundheitsunternehmens ist es nicht immer einfach, die feinen Unterschiede zu erkennen, die eine App in der Klassifizierung eines Medizinproduktes ausmachen. Hierfür unterstützen Fachleute für Medizinprodukterecht oftmals bereits den Konzeptionsprozess einer solchen App. Um schnell eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob die groben Rahmenbedingungen stimmen, bietet adesso beispielsweise die „Ask the Expert"-Sessions für Medizinprodukte an.
Aber auch während des Entwicklungsprozesses gibt es immer wieder Entscheidungen, die den Unterschied zwischen einer App, die ohne regulatorische Hürden veröffentlicht werden kann, und einem Medizinprodukt ausmachen. Wie oben aufgezeigt, setzt die sich an den Release anschließende Monitoring-Phase den Einsatz von Fachleuten im Medizinproduktebereich voraus. Hier unterstützt adesso mit Expertinnen und Experten sowie mit langjähriger Expertise im Bereich der Medizintechnik, um eine App, ob Medizinprodukt oder nicht, sicher zu entwickeln und in den Markt zu begleiten.
Relevant ist dabei zu akzeptieren und zu berücksichtigen, dass für jede App im Gesundheitsbereich die Prüfung hinsichtlich der Medizinprodukteklassifizierung ein immer wiederkehrender Prozess ist und im Aufwand für eine solche App berücksichtigt werden muss.