10. Juni 2024 von Tina Sänger und Marcel Penstorf
Neue Schwellenwerte für Vergaben bis 2025 und versteckte Möglichkeiten
Wo kommen die Schwellenwerte her und wer legt sie fest?
Es ist nun zwei Jahre her, dass wir vom Proposal Management die Definition der Schwellenwerte vorgestellt haben. Die EU-Kommission hat die Schwellenwerte für die Jahre 2024 und 2025 wieder in einem Euro-Wert veröffentlicht. Im „Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen“ hat die Welthandelsorganisation die Schwellenwerte in einer fiktiven Währung beziehungsweise einer Mischung aus Währungen festgelegt. Diese Mischung aus US-Dollar, Euro, chinesischem Yuan, japanischem Yen und britischem Pfund wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) festgelegt. Diese fiktive Währung heißt „special drawing rights“ und wird bis 2027 konstant bleiben. Wie eingangs erwähnt, hat die EU-Kommission nun die Umrechnung in Euro überprüft und veröffentlicht.
Neue EU-Schwellenwerte 2024 und 2025
Im Dienstleistungsbereich gibt es für öffentliche Auftraggeber drei Schwellenwerte, die darüber entscheiden, ab wann eine europaweite Ausschreibung erforderlich ist.
Der niedrigste Schwellenwert gilt für die obersten und oberen Bundesbehörden, wie zum Beispiel unsere Kunden aus den Bundesministerien. Diese Behörden müssen ab einem Schwellenwert von 143.000 Euro/netto EU-weit ausschreiben. Der höchste Schwellenwert von 443.000 Euro/netto gilt für den Sektorenbereich sowie für Verteidigungs- und Sicherheitsbehörden. Zum Sektorenbereich gehören beispielsweise die Deutsche Bahn oder die zahlreichen Stadtwerke und die vier öffentlichen Stromnetzbetreiber. Für alle anderen Behörden gilt der Schwellenwert von 221.000 Euro/netto. Diese Regelungen sind wichtig, um eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabepraxis im Dienstleistungsbereich zu gewährleisten.
Die Schwellenwerte haben in den Jahren 2018 und 2019 historische Höchststände erreicht.
Nationale Wertgrenzen
Wie eben beschrieben, regeln die EU-Schwellenwerte die Anwendung des EU-Vergaberechts, das für Liefer- und Dienstleistungen in der
- Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) beziehungsweise
- Sektorenrechtsverordnung (SektVO) oder
- Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) festgelegt ist.
Liegt der geschätzte Auftragswert unter dem EU-Schwellenwert, gelten nationale Regelungen, die überwiegend in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) verankert sind. Eine Ausnahme bildet Sachsen, wo weiterhin die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen - Teil A (VOL/A) gilt.
Die UVgO ist in jedem Bundesland individuell geregelt und häufig in spezielle Gesetze integriert, wie zum Beispiel im Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG).
Auf den ersten Blick erscheint es aufwendig, 16 einzelne Landesvergabegesetze zu prüfen. Denn jedes Bundesland legt die sogenannten Landeswertgrenzen für die Anwendung der unterschwelligen Vergabearten und damit die Wahl der Verfahrensarten selbst fest (siehe Abbildung 1).
Einige dieser Verfahrensarten sind vereinfacht und ermöglichen bei geringem Wettbewerb eine höhere Erfolgschance für den betrachteten Bietermarkt. Die Merkmale der unterschwelligen Vergabeverfahren sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Versteckte Möglichkeiten
Die Verfahrensarten „Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb“ und „Verhandlungsvergabe“ ermöglichen es dem Auftraggeber, einen zuvor ausgewählten Kreis qualifizierter Bieter direkt anzuschreiben. Dadurch wird der Aufwand auf Bieter- und Auftraggeberseite reduziert und Aufträge mit geringem Finanzvolumen können schneller vergeben werden.
Beispiele aus den Bundesländern
Während der Corona-Pandemie haben einige Bundesländer ihre Wertgrenzen für vereinfachte Vergabeverfahren vorübergehend angehoben. Dies sollte die Handlungsfähigkeit der Verwaltungen in Krisenzeiten sicherstellen und gleichzeitig eine wirtschaftsfördernde Maßnahme darstellen. Diese befristeten Anhebungen wurden in einigen Fällen aufgrund weiterer externer Faktoren (wie zum Beispiel dem Konflikt in der Ukraine) verlängert.
Eine Übersicht über den Stand der Tariftreue- und Vergabegesetze in den Ländernfindet ihr auf der Website von forum vergabe, Zur Veranschaulichung werden im Folgenden einige Beispiele aus der Praxis aufgeführt:
Unter Berücksichtigung der länderspezifischen Wertgrenzen ist es möglich, Kleinaufträge ohne oder mit nur geringem Wettbewerb zu vergeben. Es ist auch möglich, öffentliche Auftraggeber auf diese Regelungen aufmerksam zu machen, um kleinere Aufträge effizient und rechtskonform abzuwickeln.
Fazit und Tipps für die Sichtung von Vergabeunterlagen
Die aktuellen Vergaberegelungen bieten sowohl den öffentlichen Auftraggebern als auch den interessierten Unternehmen eine Reihe von Vorteilen. Zunächst regelt der EU-Schwellenwert die Anwendung des EU-Vergaberechts, das Transparenz und Einheitlichkeit in den Vergabeverfahren gewährleistet. Liegt der geschätzte Auftragswert unterhalb dieses Schwellenwertes, treten nationale Regelungen in Kraft, die in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) verankert sind.
Jedes Bundesland hat die Möglichkeit, eigene Wertgrenzen festzulegen. Die regelmäßige Überprüfung der aktuellen Wertgrenzenerlasse auf den einschlägigen Internetseiten hilft, den Überblick zu behalten und die vergaberechtlichen Anforderungen des jeweiligen Bundeslandes besser zu verstehen.
Diese Vielfalt der Regelungen mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, bietet aber auch entscheidende Vorteile. Die unterschiedlichen Verfahrensarten, die in den einzelnen Bundesländern angewendet werden können, eröffnen Möglichkeiten für vereinfachte Vergabeverfahren mit geringem Wettbewerb. Insbesondere die Verfahrensarten "Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb" und "Verhandlungsvergabe" ermöglichen es öffentlichen Auftraggebern, gezielt qualifizierte Bieter anzusprechen und den Vergabeprozess effizient zu gestalten.
Die Durchsicht der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen gibt bereits einen ersten Hinweis auf die Einschätzung des Auftragswertes (ober- oder unterhalb des EU-Schwellenwertes) und erklärt die Anwendung der vereinfachten Verfahrensarten. Genau hinschauen lohnt sich!
Auch die vorübergehende Anhebung der Wertgrenzen während der Corona-Pandemie zeigt die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Systems in Krisenzeiten. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Handlungsfähigkeit der Verwaltungen sicherzustellen und gleichzeitig wirtschaftsfördernde Impulse zu setzen.
Auch bei regionalen Krisen können die Wertgrenzenregelungen vorübergehend angepasst werden. Kleinere Direktaufträge können dann leichter vergeben werden.
Insgesamt ermöglichen die derzeitigen Vergaberegelungen eine effiziente und rechtskonforme Abwicklung von Aufträgen, insbesondere bei kleineren Projekten mit geringem Wettbewerb. Unter Berücksichtigung der länderspezifischen Wertgrenzen können Bieter ihre Zuschlagschancen maximieren und öffentliche Auftraggeber ihre Vergabeprozesse optimieren.