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New Work in der Praxis: Wie gelingt Agilität jenseits des klassischen Büros?

Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, agile Methoden – viele Unternehmen haben bereits erste Schritte in Richtung New Work unternommen. Doch funktioniert das auch in Bereichen, die stark vom Tagesgeschäft geprägt sind, wie Bankfilialen, Versicherungsagenturen oder dem Einzelhandel?

Die Antwort lautet: Ja – wenn Unternehmen den Mut haben, Neues auszuprobieren! In der Versicherungsbranche gibt es viele feste Strukturen – doch genau hier kann New Work helfen, Prozesse zu modernisieren, Kundenorientierung zu stärken und den Vertrieb flexibler zu gestalten.

Doch wie gelingt die Transformation, ohne das operative Geschäft zu gefährden? Dieser Blog-Beitrag zeigt, wie Experimentierräume, klare Hypothesen und eine positive Fehlerkultur dabei helfen können, New Work in die operative Praxis zu bringen – praxisnah, wissenschaftlich fundiert und mit einem konkreten Beispiel.

New Work und Agilität – mehr als nur Schlagworte

New Work und Agilität sind längst keine neuen Konzepte mehr – dennoch stehen viele Unternehmen erst am Anfang ihrer Transformation. Bevor wir tiefer in das Thema einsteigen, lohnt sich ein Blick auf die Begriffsdefinition. Denn obwohl New Work weit verbreitet ist, gibt es noch viele unterschiedliche Definitionen.

New Work ist ein Sammelbegriff für neue Arbeitsmethoden und -modelle, mit dem Ziel innovative und werteorientierte Arbeit zu ermöglichen. Darunter fallen unter anderem Themen wie Agilität, Automatisierung, Jobs der Zukunft, Arbeitsumfeld, Hierarchien, Organisationales Setup, Flexibilität und Individualität.

Und noch einen Unterschied sollten wir machen, denn: Agilität ist nicht gleich Scrum. Ja, Scrum gehört zu den agilen Vorgehensweisen, aber Agilität ist so viel mehr! Agilität bedeutet flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen reagieren zu können. In der Agilität arbeiten wir in iterativen Schritten, kundenzentriert, mit den Mitarbeitenden und mit Kundinnen und Kunden zusammen und versuchen, uns, unsere Produkte und Prozesse durch regelmäßige Selbstreflexion weiterzuentwickeln.

Doch der Weg zu einer erfolgreichen Umsetzung von New Work in operativen Bereichen hat natürlich Herausforderungen. Wie können Unternehmen den Wandel erfolgreich gestalten, wenn die Mitarbeitenden mit ihren alltäglichen Aufgaben so eingespannt sind? Wie lässt sich die Skepsis gegenüber neuen Arbeitsmodellen überwinden, insbesondere bei Führungskräften, die Bedenken hinsichtlich der Effektivität und Kontrolle haben könnten? Ein zentraler Punkt ist die Schaffung von Freiräumen für Experimente und Innovationen, ohne dass die eigentlichen Ziele und das Tagesgeschäft gefährdet werden.


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New Work erfordert eine durchdachte Umsetzung und oft externe Unterstützung. Wir begleiten Versicherungen dabei, agile Methoden gezielt einzuführen und weiterzuentwickeln – von der Strategie bis zur Umsetzung.

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Experimentierräume schaffen: Wie New Work in der Operativen funktioniert

In der Versicherungsbranche ist Kundenkontakt oft stark reglementiert, und Vertriebsteams arbeiten nach festen Vorgaben. Doch gerade hier kann New Work neue Möglichkeiten schaffen: Agile Prozesse erleichtern die Zusammenarbeit, digitale Tools ermöglichen mehr Flexibilität, und eine stärkere Selbstorganisation der Maklerinnen und Makler kann die Kundenberatung individueller und bedarfsgerechter machen.

Wie können wir also New Work und agile Ansätze in die Operative bringen?

Wenn wir davon ausgehen, dass New-Work-Organisationen gezielt die Kreativität und Innovationskraft der Mitarbeitenden fördern, geschieht das oft durch die Schaffung kollektiver Lernstrukturen, Stärkung der Selbstorganisation und -reflexion sowie durch Anpassung der Entscheidungswege. New Work bedeutet unter anderem, sich aktiv mit neuen Ideen und Themen auseinanderzusetzen durch die Schaffung von Experimentierräumen, einer positiven Fehlerkultur und starker Vernetzung.

Eine Möglichkeit, die ich als Consultant begleite, ist, Raum für Experimente und somit Innovation zu schaffen. Solche Experimente basieren auf klaren Hypothesen, messbaren KPIs und einer repräsentativen Teilnehmergruppe, um Wirksamkeit und Nutzen objektiv bewerten zu können. Die Vorschläge für Experimente kommen aus den Agenturen selbst oder von unterstützenden Teams aus anderen Fachbereichen. Auch Think Tanks können Vorschläge einbringen. Ein „Begleiter-Team“ stellt den wissenschaftlichen Ansatz sowie den Austausch zwischen den Teilnehmenden sicher.

Für jeden Vorschlag werden Hypothesen und KPIs definiert. Drei bis fünf Experimente laufen dann parallel über sechs bis zwölf Monate – lang genug für belastbare Ergebnisse, aber flexibel genug für Anpassungen. (Es sollten mindestens vier bis zwölf Monate sein, damit aussagekräftige und zuverlässige Daten gesammelt werden. Die Dauer eines Experiments ist sehr von seiner Art abhängig.) Wichtig ist außerdem, dass sich Agenturen freiwillig beteiligen und geschlossen teilnehmen, um Engagement und valide Ergebnisse sicherzustellen.

Experimente testen mehrere Agenturen gemeinsam und bilden dafür eine Gruppe. Jede Agentur entsendet zwei Vertreterinnen oder Vertreter, die sich regelmäßig mit den anderen Vertreterinnen oder Vertretern aus der Gruppe austauschen und die gewonnenen Erkenntnisse teilen. Zum Erfolge trägt außerdem bei, dass einige Vertreterinnen und Vertreter zusätzlich in ein Management-Gremium gewählt werden, das den Fortschritt überwacht, Budgets bespricht und über eine mögliche Umsetzung in weiteren Agenturen entscheidet. Idealerweise gibt es je Experiment auch eine Sponsorin oder einen Sponsor aus dem Management, die oder der Hürden aus dem Weg räumt und unterstützt, ohne den Prozess anderweitig zu beeinflussen.

Beispiel – Dynamische Fachgebietswahl mit regelmäßiger Wechselmöglichkeit

Viele Versicherungsagenturen stehen vor der Herausforderung, dass ihre Maklerinnen oder Makler sich über Jahre auf bestimmte Produkte spezialisieren und damit wenig Spielraum für Entwicklung haben. Das kann zu Motivationsverlust führen und die Anpassungsfähigkeit an neue Marktanforderungen bremsen. Ein möglicher Lösungsansatz: Maklerinnen und Makler regelmäßig die Wahl ihrer Fachgebiete zu ermöglichen, um sich mit erweiterter Expertise breiter aufzustellen und die Beratungsqualität zu verbessern.

Angenommen fünf Agenturen nehmen an einem Experiment teil, bei dem Maklerinnen und Makler ihre Fachgebiete regelmäßig wechseln können:

Hypothese:

Wenn Versicherungsmaklerinnen und -makler regelmäßig die Möglichkeit haben, ihre Fachgebiete je nach Interesse und Stärken zu wechseln, steigert dies ihre Motivation, Fachkompetenz und Abschlussquote, während die Kundenberatung flexibler und kundenorientierter wird.

Möglicher Ablauf:

  • 1. Halbjährliche oder jährliche Wahl des Fachgebiets durch die Maklerinnen und Makler basierend auf aktuellen Marktbedürfnissen und persönlichen Interessen.
  • 2. Zugang zu spezialisierten Trainingsmethoden und Ressourcen für das jeweils gewählte Fachgebiet (z. B. Haftpflicht, Krankenversicherung, Lebensversicherung) zum Beispiel Trainings, Lerntandems etc.
  • 3. Interne Wissensaustauschformate zwischen Maklerinnen und Maklern verschiedener Fachgebiete, um Synergien zu fördern und breites Wissen zu erhalten.
  • 4. Zielsetzungsgespräche vor und nach jedem Wechsel, um Lernfortschritte und Kundenorientierung sicherzustellen.

Mögliche KPIs:

  • (Steigerung der) Abschlussquote in den Fachgebieten.
  • Zufriedenheit der Maklerinnen und Maklern, die einen Fachgebietswechsel vornehmen (gemessen durch Umfragen).
  • Veränderung der Beratungsqualität und Kundenfeedback zur Spezialisierung.
  • Zeitaufwand für Einarbeitung und Schulung im neuen Fachgebiet im Verhältnis zur Leistungssteigerung.

Die KPIs werden mit historischen Daten verglichen und mindestens zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Experiments erhoben. Während dieser Zeit treffen sich die Agentur-Repräsentantinnen und -repräsentant sowie das „Begleiter-Team“ monatlich, um sich zu Erfahrungen, Fortschritten, Herausforderungen und Anpassungen auszutauschen. Die Sponsorinnen und Sponsoren begleiten den Prozess unterstützend.

Nach Ablauf des Experiments kommen alle Gruppen und das Management zusammen. Die Ergebnisse, Erfahrungen und Empfehlungen werden geteilt. Die Agenturen entscheiden eigenständig, ob sie das neue Vorgehen dauerhaft beibehalten wollen. Das Management entscheidet über eine mögliche Skalierung.


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Von der Theorie in die Praxis

Auch wenn das beschriebene Beispiel theoretisch ist – es gibt bereits zahlreiche Unternehmen, die in der Praxis mit solchen wissenschaftlichen Experimenten arbeiten und von ihrem Nutzen profitieren, unter anderem ein großer Pharmahersteller, der basierend auf Hypothesen und KPIs Experimente durchführt. Ein Experiment zur virtuellen internationalen Zusammenarbeit zeigte, dass digitale Assignments eine erfolgreiche Alternative zu physischen Versetzungen sind. Die hohe Akzeptanz und zahlreiche genehmigte Einsätze bestätigten den geschäftlichen Nutzen und die Machbarkeit dieses flexiblen Arbeitsmodells.

Aber auch andere Unternehmen probieren Neues aus und validieren die Ergebnisse. Sei es die Hamburger Hochseilbahn, die sich im Rahmen ihres Design Thinkings in Kooperation mit den Bürgerinnen und Bürgern weiterentwickeln, das Schweizer Parlament, dass mit Policy Sprint arbeitet, um unterschiedliche Positionen verbinden zu können oder Experimente zur Viertagewoche, die vergangenes Jahr von vielen Unternehmen verprobt wurden.

Fazit: New Work ist ein individueller Weg, für den es Mut braucht

Die Einführung von New Work in operativen Bereichen innerhalb der Versicherungsbranche erfordert Mut, Offenheit und die Bereitschaft, zu experimentieren. Es gibt keine Standardlösung – jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden. Entscheidend ist, dass der Wandel gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestaltet wird, anstatt ihn von oben vorzugeben.

Durch klare Hypothesen, messbare KPIs und eine positive Fehlerkultur können Unternehmen herausfinden, welche Ansätze funktionieren. New Work ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich mit den Bedürfnissen von Menschen und Märkten weiterentwickelt – auch in operativen Bereichen, die keine klassischen Bürostrukturen bieten.

Gerne begleiten wir euch bei der Einführung und Umsetzung solcher Experimente.

Bild Diana Trinkle

Autorin Diana Trinkle

Diana Trinkle ist Managing Consultant bei adesso. Als Projektleiterin und Change Managerin begleitet sie Unternehmen bei Reorganisationen und Transformationen.

Ihr Ziel: technologiebasierte, strategische Personal- und Organisationsstrukturen, die Unternehmen resilient und flexibel für die Zukunft machen.