2. Januar 2024 von Simon Bächle
Energiewirtschaft im Wandel: Aussichten und Entwicklungen für 2024
Der Energiesektor ist einer Vielzahl von Entwicklungen und Veränderungen unterworfen. Dazu gehören die Einführung von variablen Stromtarifen als Anreiz für Kundinnen und Kunden, die Vorbereitungen für einen schnelleren Lieferantenwechsel, Maßnahmen zur Senkung der Strompreise für die Industrie sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig stehen Gesetzesinitiativen wie das geplante Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende bis 2030, das die Einführung intelligenter Messsysteme beschleunigen soll, im Fokus. Diese Entwicklungen verdeutlichen den Anpassungsbedarf an die aktuellen Herausforderungen und Ziele im Stromsektor und werden im Folgenden detailliert beschrieben.
Diese drei Treiber beeinflussen maßgeblich die Energiewirtschaft
Die Energiewelt wird von drei entscheidenden Kräften geprägt: Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Diese Trends beeinflussen nicht nur die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen, sondern auch wie wir sie nutzen und verteilen.
Dekarbonisierung
Der fortschreitende Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Menschheit haben die Dekarbonisierung zu einem zentralen Anliegen der deutschen Politik und damit auch der Energiewirtschaft gemacht. Die Suche nach kohlenstoffarmen und emissionsfreien Energielösungen ist zu einem treibenden Faktor geworden. Erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie sind auf dem Vormarsch, gleichzeitig nimmt die Elektromobilität Fahrt auf.
Dezentralisierung
Die Stromwirtschaft in Deutschland befindet sich in einem Paradigmenwechsel. Früher wurde die benötigte Energie zentral von Großkraftwerken eingespeist und nach dem Top-Down-Prinzip über alle Netzebenen zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern transportiert. Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien verschiebt sich das System hin zu einer dezentralen Erzeugung und die Einspeisung der Erneuerbaren Energien erfolgt zu 90 Prozent in den Verteilnetzen.
Digitalisierung
Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche, auch den Energiesektor. Virtuelle Kraftwerke, Smart Grids, intelligente Messsysteme und IoT-Anwendungen revolutionieren die Art und Weise, wie wir Energie erzeugen, verteilen und nutzen. Der Bedarf an digitalen Lösungen ist vielfältig und reicht von der präzisen Überwachung und effizienten Steuerung bis hin zur Optimierung von Energieprozessen. Ohne eine umfassende Digitalisierung des Energiesektors wird eine Stromerzeugung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien nicht möglich sein.
Die gesamte Wertschöpfungskette ist betroffen
Die Wertschöpfungsstufen der Stromwirtschaft erstrecken sich von der Erzeugung aus verschiedenen Energieträgern über die Übertragung und Verteilung bis hin zum Handel und Vertrieb, der den Strom letztendlich an die Endverbrauchenden liefert. Die folgende Grafik gibt einen Überblick über die disruptiven Trends in den einzelnen Wertschöpfungsstufen.
Variable Stromtarife für Haushaltskundinnen und -kunden
In der sich ständig wandelnden Energiebranche gibt es einen neuen Impuls für die Stromversorger, ihre Tariflandschaft zu erweitern. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) schreibt in § 41a vor, dass Stromlieferanten Endverbraucherinnen und -verbrauchern Tarife anbieten müssen, die Anreize zum Energiesparen oder zur Steuerung des Energieverbrauchs bieten. Doch damit nicht genug: im Mittelpunkt stehen Tarife, die Anreize zur Energieeinsparung oder zum sparsamen Umgang mit Energie bieten. Lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife sind hier besonders im Fokus. Diese Tarife sollen nicht nur technisch realisierbar, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Ziel ist es, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu einem bewussten Umgang mit ihrem Energieverbrauch zu motivieren und gleichzeitig die Energieeffizienz zu fördern. Voraussetzung ist allerdings, dass die Endverbraucherinnen und -verbraucher über ein intelligentes Messsystem verfügen. Dies ist aufgrund des verzögerten Smart-Meter-Rollouts noch nicht flächendeckend der Fall. Dynamische Tarife zielen darauf ab, die unelastische Stromnachfrage von Haushaltskundinnen und -kunden durch finanzielle Anreize flexibler zu gestalten.
Größere Stromlieferanten, die zum Jahresende mehr als 100.000 Endverbraucherinnen und -verbraucher beliefern, sind vom Gesetzgeber verpflichtet, einen solchen dynamischen Tarif anzubieten und darüber zu informieren. Ab dem 1. Januar 2025 gilt die Regelung für alle Stromlieferanten.
Vorbereitungen zum Lieferantenwechsel innerhalb von 24 Stunden
Spätestens ab dem 01.01.2026 fordert die Bundesnetzagentur (BNetzA), dass der technische Prozess des Stromlieferantenwechsels an Werktagen innerhalb von 24 Stunden umsetzbar sein muss. Derzeit darf der Lieferantenwechsel nicht länger als drei Wochen dauern. Aktuell befindet sich dieser Entwurf noch in der Konsultationsphase, jedoch wird diese Anforderung zu umfangreichen Anpassungen in den IT-Systemen bei Lieferanten, Messstellenbetreibern und Verteilnetzbetreibern führen. Darüber hinaus ergeben sich tiefgreifende Anpassungen in Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) und Wechselprozesse im Messwesen (WiM), die von den jeweiligen Akteuren umgesetzt werden müssen. Es wird daher empfohlen, frühzeitig die notwendigen Systeme und Prozesse für diese Anforderung vorzubereiten.
Strompreise für die Industrie
Der Strompreis in Deutschland stellt für die Industrie, insbesondere für energieintensive Produktionsstandorte, ein zunehmendes Problem dar. Die Produktionskosten werden maßgeblich durch die Energiekosten in die Höhe getrieben und es besteht die Gefahr, dass Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Preisen verkauft werden können.
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Plänen vorgelegt, um der Belastung der Industrie entgegenzuwirken. Die Strompreissenkung umfasst einen Zuschuss zu den Netzentgelten sowie die Senkung der Stromsteuer für alle produzierenden Unternehmen auf den EU-weit zulässigen Mindestwert von 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Derzeit beträgt die Stromsteuer für Unternehmen noch 1,537 Cent pro Kilowattstunde. Von dieser Steuersenkung würden nicht nur stromintensive Großunternehmen, sondern auch der Mittelstand profitieren.
Zusätzlich soll die so genannte Strompreiskompensation verlängert und der bisherige Eigenanteil von ca. 70.000 Euro pro Produktionsanlage abgeschafft werden. Dies betrifft circa 350 Unternehmen, bei denen die Politik mit solchen Maßnahmen versucht, die Kosten aus dem EU-Emissionshandel zu reduzieren. Die Kosten für die Subventionen werden teilweise aus dem Bundeshaushalt sowie aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert.
Engpassmanagement und Ausbauziele Photovoltaik und Windkraft
Um die Klimaziele zu erreichen, wurden ehrgeizige Ausbauziele für Erneuerbare Energien festgelegt. Bis 2023 sollen 9 Gigawatt (GW) an Photovoltaik- und 3,9 GW an Windkraftanlagen neu installiert werden. Ab 2026 sollen jährlich 22 GW an Solaranlagen und 7,8 GW an Offshore- und Onshore-Windkraftanlagen installiert werden. Die gute Nachricht ist, dass das Ziel für 2023 im Solarbereich mit 12 GW neu installierter Leistung bereits übertroffen wurde. Der Ausbau der Windenergie liegt mit 2,6 GW noch deutlich hinter dem Ziel zurück.
Ziel 2023 | Stand 19.11.2023 | |
Photovoltaik | 9 GW | 12 GW |
Windkraft | 2,6 GW | 2,6 GW |
Dieser bundesweit starke Ausbau führt dazu, dass die Netzbetreiber den Netzausbau beschleunigen müssen. Derzeit ist der Netzausbau im Rückstand, so dass die Netzbetreiber an sonnen- und windreichen Tagen häufiger in die Situation kommen, dass die eingespeiste Strommenge die Netze überlastet. Um einer Netzüberlastung entgegenzuwirken, setzen die Netzbetreiber verschiedene Verfahren des Engpassmanagements ein - unter anderem das Redispatch-Verfahren. Dabei wird die Überlastung von Leitungsabschnitten im Stromnetz vermieden, indem die Einspeiseleistung von Kraftwerken geregelt wird. Häufig tritt die Situation auf, dass in Norddeutschland zu viel Windenergie erzeugt wird und die Leitungen nach Süddeutschland einen Engpass aufweisen. Um dem Netzengpass entgegenzuwirken, wird die Einspeiseleistung der Windkraftanlagen im Norden reduziert und gleichzeitig werden andere Kraftwerke im Süden hochgefahren. Die vom Redispatch betroffenen Kraftwerksbetreiber erhalten eine Entschädigung.
Das Engpassmanagement ist komplex und die Redispatchmengen und -kosten steigen seit Jahren stark an (siehe folgende Abbildung). Diese Mehrkosten werden letztlich auf die Kundinnen und Kunden umgelegt. Für die zukünftig zunehmende Integration erneuerbarer Energien müssen die Netze dimensioniert werden, ansonsten drohen die Redispatch-Kosten weiter zu steigen.
Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW)
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) initiierte Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende 2030 hat das klare Ziel, den Rollout intelligenter Messsysteme zu beschleunigen, um dynamische Stromtarife zu ermöglichen. Durch die Entbürokratisierung der Verwaltungsverfahren und die Stärkung der Rechts- und Planungssicherheit sollen alle Beteiligten profitieren.
Das Gesetz sieht den verpflichtenden Einbau von intelligenten Messsystemen an Verbrauchsstellen mit einem Jahresverbrauch von mehr als 6.000 kWh sowie bei Stromerzeugungsanlagen (zum Beispiel PV-Anlagen) vor. Abhängig vom Jahresverbrauch legt das Gesetz Obergrenzen für die Abrechnung fest, um die Verbraucherinnen und Verbraucher vor überhöhten Kosten zu schützen. Für die meisten Kunden werden die Kosten für ein intelligentes Messsystem mit ca. 20 Euro pro Jahr genauso hoch sein wie für einen digitalen Stromzähler.
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