17. Mai 2023 von Dr. Michael Hartmann
Embedded Insurance – Zukünftiger Vertriebskatalysator oder Sturm im Wasserglas?
Abstract
Embedded Insurance, also der in einen Verkaufsprozess integrierte Versicherungsabschluss, ist im Zuge der Digitalisierung und insbesondere seit der Covid-19-Pandemie ein Trendthema, das viele Versicherer beschäftigt. Aus Sicht der Versicherer eröffnet sich ein neues Vertriebspotenzial, allerdings stellt sich die Frage, ob Kunden solche Produkte tatsächlich nachfragen und davon profitieren. Im Folgenden soll zunächst der Begriff erst einmal näher beleuchtet und im Anschluss auf Vor- und Nachteile aus der Perspektive aller Beteiligten eingegangen werden.
Embedded Insurance – Was neu daran ist
Embedded Insurance oder frei übersetzt «integrierte Versicherung» bezeichnet kurz gesagt einen Versicherungsschutz, der zusammen mit dem Kauf eines Produktes bzw. Service bei einem Partner angeboten und verkauft wird. Als anschauliches Beispiel wird häufig die Buchungsplattform Airbnb genannt, bei der Vermieter:innen, die Objekte zur Miete anbieten, automatisch mit einer Haftpflichtversicherung abgesichert sind.
Doch was ist denn nun neu an Embedded Insurance? Das Konzept, Versicherungen am Point of Sale (PoS) zu verkaufen, gibt es eigentlich schon lange und war bis anhin als Annexprodukt bzw. Annexversicherung bekannt. So bieten etwa Sportartikelverkäufer beim Verkauf von ein paar Skiern schon seit einer gefühlten Ewigkeit eine zusätzliche Skibruchversicherung an.
Tatsächlich handelt es sich bei Embedded Insurance um ein klassisches B2B2C-Geschäft (vgl. Abbildung 1): Die B2B-Beziehung besteht zwischen dem Versicherungsunternehmen und einem Partnerunternehmen, das ein Produkt oder eine Dienstleistung verkauft. Der Versicherer erstellt dabei ein partnerspezifisches Versicherungsprodukt – wahlweise auch als Whitelabel – und zahlt dem Partner eine Vergütung (1a) für die Vermittlung von Kunden und deren Daten (1b). In der B2C-Beziehungen stehen sich Partner und Konsument:innen gegenüber, wobei Konsument:innen beim Partner ein Produkt oder eine Dienstleistung bezieht und als fester Bestandteil integriert oder als Option im Verkaufsprozess einen Versicherungsschutz erhält (2a). Im Gegenzug erfolgt die Zahlungsabwicklung beim Partner (2b). Im Schadenfall müssen Konsument:innen den Schaden beim Versicherer geltend machen (3a) und erhalten von diesem die entsprechende Leistungsvergütung (3b).
Neu an diesem Konstrukt ist, dass der gesamte Prozess digital und nahtlos integriert stattfindet. So muss der Partner beim Verkaufsprozess, wie im Beispiel des Skiverkaufs, kein separates Dokument mit Durchschlag ausfüllen, sondern erfasst die Kundendaten einmal zentral, wählt mit dem Verkaufsprodukt den Versicherungsschutz aus und übermittelt die Daten direkt in die Systemwelt des Versicherers.
Zusammenfassend können wir also folgende Punkte festhalten, die den Unterschied zwischen Annexprodukten und anderen Vertriebsformen ausmachen:
- Nahtlose Integration: Der Verkauf von Versicherungsprodukten wird in den Verkaufsprozess von Drittanbietern integriert, ohne dass dies von Konsument:innen als störend und umständlich wahrgenommen wird.
- Individualisierung: Das Versicherungsprodukt ist auf das Verkaufsprodukt zugeschnitten, z.B. bezogen auf Deckungen, Leistungen oder Branding, und stellt auch für den Verkäufer ein USP dar.
- Daten: Neben den Informationen zum Verkaufsprodukt stehen auch Daten zur Verfügung, die der Kunde während des Kaufprozesses im Rahmen der Customer Journey zur Verfügung stellt. Diese Daten werden zwischen Vertriebspartner und Versicherer geteilt.
Added Value – wer profitiert?
Wie eben dargelegt, funktioniert Embedded Insurance ähnlich wie Annexprodukte, aber quasi als Version 2.0 angereichert mit den Möglichkeiten, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Damit stellt sich nun die Frage, ob Embedded Insurance die Versicherungswelt revolutionieren wird. Um diese Frage zu beantworten, müssen die Vorteile für alle Beteiligten betrachtet und diese gegenüber potentiellen Nachteilen abgewägt werden.
Beginnen wir mit den Vorteilen (vgl. Abbildung 2) und betrachten zunächst die Seite der Versicherer, denn hier erscheint uns der Nutzen am offensichtlichsten. Versicherer haben schon immer nach Wegen und Möglichkeiten gesucht, näher an den PoS zu kommen, denn dort, wo die Kaufentscheidung getroffen wird, kann das Versicherungsprodukt am besten präsentiert werden. Die Versicherer profitieren also von einem neuen Vertriebskanal direkt am PoS und versprechen sich dadurch auch eine höhere Conversion Rate. Denn solange ein Produkt neu und im Fokus ist, erscheint auch der Schutzbedarf für Konsument:innen am höchsten. Beide Vorteile gelten natürlich auch für Annexprodukte. Einen weiteren Vorteil generiert aber nur Embedded Insurance: Daten. Daten sind das neue Gold der Versicherungswirtschaft und über Embedded Insurance werden nicht nur Kundendaten, sondern auch Daten aus dem gesamten Verkaufsprozess und natürlich über das Produkt generiert. Diese Daten helfen, den Kunden in seiner Customer Journey besser zu verstehen, das Versicherungsprodukt noch präziser zu gestalten und damit die Kundenbindung zu erhöhen. Darüber hinaus können diese Daten in der Regel auch für weitere Marketing- und Vertriebssaktivitäten genutzt werden.
Ein Profiteur alleine reicht allerdings nicht aus für den Erfolg des Produktes. Wie sieht es also mit dem Nutzen für den Partner aus? Auch dieser profitiert von einem Embedded-Insurance-Angebot. Der einfachste Nutzen erklärt sich rein quantitativ: Mit jeder verkauften Versicherung erhält er einen zusätzlichen Provisionsanteil und kann damit seinen eigenen Geschäftsumsatz steigern. Sein Nutzen lässt sich aber in zweierlei Hinsicht steigern: Erstens kann er sich beim Kunden mit dem Mehrwert des Versicherungsschutzes positionieren, durch ein breiteres und bedürfnisorientiertes Angebot ,alles aus einer Hand. Und zweitens kann er seinen eigenen Markenwert steigern, wenn er das Versicherungsprodukt als White Label unter seinem Namen vertreibt. Letzteres dürfte nicht in jedem Fall möglich sein, stellt aber mitunter den grössten USP dar.
Versicherer und Partner decken aber nur die Angebotsseite ab. Welchen Nutzen haben Konsument:innen, um Embedded-Insurance-Produkte tatsächlich nachzufragen und zu beziehen? Nun, die einfachste Antwort ist wohl, weil es praktisch ist. Convenience ist derzeit wohl das beste Argument und genau da setzt Embedded Insurance an – den Kunden im Verkaufsprozess abzuholen und den Versicherungsabschluss nahtlos zu integrieren.
«86% sind bereit eine Versicherung am Point of Sales abzuschliessen»
(Calingo.ch)
Es gibt aber auch noch ein zweites Argument, welches Konsument:innen überzeugt, an Ort und Stelle einen Versicherungsschutz abzuschliessen. Dieses liegt im passgenauen Zuschnitt des Versicherungsproduktes. Herkömmliche Versicherungsprodukte decken in der Regel verschiedene Bereiche und Konstellationen ab und beinhalten viele Optionen. Sie sind daher abstrakter zu verstehen und benötigen mehr Zeit für eine Entscheidung. Embedded Insurance hingegen fokussiert genau auf ein Produkt und eine Dienstleistung. Die Einschätzung für Konsument:innen, ob genau dieses Produkt oder diese Dienstleistung einen Risikoschutz benötigt, ist wesentlich einfacher und schneller zu fällen. Dies dürfte also den direkten Abschluss im Verkaufsprozess zusätzlich beschleunigen.
Zu schön um wahr zu sein – die Kehrseite der Medaille
Die Betrachtung bislang zeigt, dass mit Hilfe von Embedded Insurance viel Nutzen für alle beteiligten Parteien generiert werden kann. Kein Wunder also, dass das Thema derzeit in aller Munde ist. Doch ist Embedded Insurance wirklich das Versicherungsmodell der Zukunft? So praktisch der Abschluss am PoS auch sein mag, ergeben sich doch ein paar Punkte, die sich Versicherer, Partner und Konsument:innen überlegen müssen.
Der Versicherer beispielsweise erhält zwar Kundendaten und kann diese allenfalls auch für Marketingzwecke nutzen, hat aber letztendlich keine direkte Kundenbeziehung, was das Up- und Cross-Selling von Versicherungsprodukten erschwert. Insbesondere, wenn der Partner die Versicherung als White Label verkauft, verschwindet die Marke des Versicherers, was die Wahrnehmung des Versicherers beim Kunden weiter schwächt. Hinzu kommt, dass Embedded-Insurance-Produkte zwar einen spezifischen Schutz bieten und damit auch präzise bepreisbar sind, dafür aber günstiger sind als ein allgemeiner, ganzheitlicher Schutz. Somit besteht die Gefahr, das eigene Prämienvolumen zu kannibalisieren.
Für den Partner ergeben sich wahrscheinlich die wenigsten Nachteile oder Risiken. Für ihn steht der gute Service im Vordergrund, den er durch einen guten Versicherungsschutz erweitern kann. Der Service hört aber nicht beim Verkauf auf, sondern erstreckt sich auf den After-Sales-Bereich im Schadenfall. Hier müssen die Prozesse in der Abwicklung nun funktionieren, damit das Kundenerlebnis nicht getrübt wird. Der Partner ist in diesem Prozess in der Regel allerdings gar nicht involviert und hat nur begrenzten Einfluss auf die Servicequalität. Das Risiko kann zwar durch Service Level Agreements abgefedert werden, es bleibt aber immer ein gewisses Restrisiko, dass eine ungenügende Servicequalität auf den Partner abfärbt.
Letztendlich entscheiden Konsument:innen, ob am PoS auch attraktive Versicherungsangebote abgeschlossen werden. Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, ob der Schutz überhaupt notwendig ist. Eine Diebstahlversicherung für ein Handy oder Fotoapparat ist evtl. schon in einer Hausratversicherung eingeschlossen, ebenso eine Cyber- oder Glasbruchversicherung. Die Gefahr ist gross, dass aufgrund der Convenience der Verkaufssituation ein Versicherungsschutz gekauft wird, der über andere Policen bereits besteht. Gleichzeitig besteht auch das Risiko, gar nicht oder zu wenig versichert zu sein. Bleiben wir beim Beispiel Handy: Dieses mag gegen verschiedenste Risiken versichert sein. Was ist aber mit einem Tablet oder Laptop, das über einen anderen Kanal gekauft wurde und für das kein Versicherungsschutz besteht? Als Konsument:in besteht folglich ein starkes Risiko, aufgrund der hohen Fragmentierung von Versicherungsangeboten die Übersicht über die Deckungen zu verlieren. Zudem wird unter Umständen jede Police individuell verlängert, was für Konsument:innen wiederum einen hohen administrativen Aufwand birgt (vgl. Abbildung 3).
Fazit
Ist Embedded Insurance unter Berücksichtigung der Argumente von oben nun der Verkaufsschlager der Zukunft oder bleibt mehrheitlich alles beim Alten? Nun, wir würden sagen «es kommt darauf an». Für ein erfolgreiches Angebot müssen Versicherer zunächst in der Lage sein, ihre Systemwelten so weit zu öffnen, dass ein digitaler und vollautomatisierter Abschlussprozess über Drittparteien möglich ist. Stand heute: Längst nicht alle Versicherer sind dazu in der Lage und öffnen damit für Insuretechs die Türen in diesen Markt.
Mit der Öffnung der Systeme im Sinne von «open Insurance» ermöglichen sie auch die Teilnahme an der nächsten Ausbaustufe der digitalen Welt, nämlich den plattformbasierten Ökosystemen. Wenn dieser Schritt gelingt und damit auch das Vertrauen von Konsument:innen hinsichtlich Ökosystemen zunimmt, wird Embedded Insurance zu einem festen Bestandteil in Vertriebsprozessen und Angebotsstrecken werden.
Der Schritt in die Ökosystemwelt wird aber bestimmt noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Bis dahin sind Embedded-Insurance-Produkte ein perfekter Zwischenschritt, um Erfahrungen in der Digitalisierung und Automatisierung der Vertriebs- und Schadenprozesse zu sammeln und diese zu optimieren. Der Fokus dürfte allerdings zunächst erst einmal stark auf Nischenprodukten und weniger auf den Margen- und volumenträchtigen Kernprodukten liegen. Wir gehen davon aus, dass Embedded Insurance in den kommenden Jahren noch nicht zu einem dominanten Vertriebskanal wird, das Potenzial langfristig aber für eine solche Entwicklung spricht.