17. Februar 2022 von Georg Benhöfer, Stephen Lorenzen und Lars Zimmermann
Einführung von Klimaschutzdifferenzverträgen zur Transformation der Industrie
Die Erreichung der ambitionierten Klimaziele ist momentan in aller Munde. Mit der kürzlich vorgestellten „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutlich gemacht, dass die jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen zukünftig sehr stark sinken müssen. Alle dafür nötigen gesetzlichen Vorhaben und Maßnahmen sollen deshalb – wie in unserem letzten Blog-Beitrag beschrieben – noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden. Eine der in diesem Rahmen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) angekündigten Maßnahmen sind die Klimaschutzdifferenzverträge beziehungsweise die Carbon Contracts for Difference (CCfD). Es handelt sich hierbei um ein aus der Finanzwelt entlehntes Konzept zur Schaffung von Investitionssicherheit bei volatilen Marktverhältnissen. Aber was bedeutet das genau? Und was hat ein finanzielles Produkt in der Energiewirtschaft zu suchen? In unserem Blog-Beitrag geben wir euch einen kurzen Überblick.
An welchem Problem setzen Carbon Contracts for Difference an?
Technische Investitionen in Industrieanlagen sind meist langfristige Investitionen. Sie haben verhältnismäßig lange Planungszeiten, hohe Investitionskosten und amortisieren sich erst nach vielen Jahren. Das bedeutet, dass vor wenigen Jahren gebaute Anlagen erst in vielen Jahren erneuert werden. Will man die Treibhausgasemissionen des Industriesektors senken, muss man also dafür sorgen, dass möglichst ab sofort nur noch Investitionen in Industrieanlagen getätigt werden, die klimaschonend sind. Warum das eine Herausforderung darstellt, hat hauptsächlich zweierlei Gründe:
1. Investitionen in klimaschonende Technologien sind zumeist deutlich kostenintensiver als Investitionen in Technologien, die das Klima nicht schützen.
2. Das Klima beziehungsweise die Atmosphäre ist ein öffentliches Gut. Das bedeutet, dass niemand vom Konsum dieses Guts ausgeschlossen werden kann und es gleichzeitig keine Rivalität in der Nutzung gibt – es also von mehreren Konsumenten problemlos zur gleichen Zeit genutzt werden kann. Entsprechend entstehen per se keine Kosten bei der Nutzung eines öffentlichen Guts. Industrieunternehmen haben also aus einer wirtschaftlichen Perspektive keinen Vorteil davon, das Klima zu schützen. Vielmehr haben sie Nachteile, wenn sie es tun, da es für die Mehrinvestition in klimaschonende Technologie keinen Gegenwert gibt. Die Einführung des EU-Emissionshandels versucht durch die Vergabe von CO2-Zertifikaten diesen Gegenwert zu schaffen und dem Klima damit einen Preis zu geben. In einer aus Sicht des Klimaschutzes optimalen Welt wäre der CO2-Preis so hoch, dass es sich für Unternehmen wirtschaftlich lohnt, nur noch in klimaschonende Technologien zu investieren. Aktuell ist dies aber nicht der Fall.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Auf der einen Seite müssen zur Erreichung der Klimaziele neue Investitionen in Industrieanlagen möglichst ab sofort klimaschonend sein. Auf der anderen Seite bietet das aktuelle Instrument, der Emissionshandel, dafür aber nicht ausreichend Anreize. Genau diese Lücke sollen Carbon Contracts for Difference schließen.
Wie können durch Carbon Contracts for Difference aktuell fehlende Anreize geschaffen werden?
Die Carbon Contracts for Difference (CCfD) sollen als Förderinstrument zur Unterstützung von klimafreundlichen Investitionen in der Industrie dienen. Dazu setzen sie an dem Problem an, dass sich klimafreundliche Investitionen für Industrieunternehmen nur lohnen, wenn der CO2-Preis langfristig hoch bleibt, Spekulationen auf hohe CO2-Preise allerdings ein hohes Risiko darstellen. Bei CCfD handelt es sich deshalb um Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Industrieunternehmen, bei denen – vereinfacht ausgedrückt – der Staat das Risiko von Investitionen zur CO2-Reduktion langfristig absichert.
Im Kern einigen sich die Bundesregierung und ein Industrieunternehmen für eine bestimmte Vertragslaufzeit auf einen fixen Referenzpreis für eine Tonne CO2. Dieser Referenzpreis wird während der Vertragslaufzeit zum realen CO2-Preis in Verhältnis gesetzt. Auf diese Weise entstehen je nach Differenz zwischen Referenzpreis und realem Preis zwei unterschiedliche Szenarien. Entweder ist der reale Preis niedriger als der Referenzpreis („low price scenario“) oder der reale Preis ist höher als der Referenzpreis („high price scenario“). Im „low price scenario“ ist die Bundesregierung verpflichtet, dem Industrieunternehmen die Differenz zwischen Real- und Referenzpreis auszuzahlen. Im „high price scenario“ zahlt dagegen das Industrieunternehmen die Differenz an die Bundesregierung. Auf diese Weise soll das Risiko von zu niedrigen CO2-Kosten, die eine Investition in CO2-Reduktionen unwirtschaftlich machen, verringert werden.
Geht das auch einfacher? Kein Problem!
Nehmen wir an, ihr möchtet in ein neues Auto investieren. Zur Wahl stehen: 1) ein modernes Auto mit durchschnittlichem Kraftstoffverbrauch oder 2) ein innovatives Auto mit einem neuen Motor, das nur halb so viel verbraucht. Das innovative Auto ist deutlich teurer als das moderne. Ihr werdet das innovative Fahrzeug also nur kaufen, wenn die Ersparnis beim Kraftstoff so hoch ist, dass es sich lohnt. Ihr zückt euren Taschenrechner und rechnet für beide Modelle: Investitionskosten plus Kraftstoffverbrauch. Nur wenn beide Summen gleich oder die Summe beim innovativen Fahrzeug geringer ist, werdet ihr euch für das innovative Modell entscheiden.
Ihr errechnet, dass sich das innovative Auto lohnt, wenn ihr einen durchschnittlichen Spritpreis von mindestens zwei Euro pro Liter über einen Zeitraum von fünf Jahren annehmt. Erst heute habt ihr an der Tankstelle 1,70 Euro pro Liter gezahlt. Wärt ihr also bereit, das Risiko einzugehen und darauf zu spekulieren, dass der Spritpreis in den nächsten Jahren so weit steigt, dass sich das innovative Auto lohnt? Wahrscheinlich wird euch das Risiko zu hoch sein und ihr investiert lieber in das moderne Auto.
Oder: Ihr schließt einen Carbon Contract for Difference mit der Bundesregierung ab. Ihr einigt euch auf einen fixen Spritpreis von zwei Euro pro Liter für die nächsten fünf Jahre, bei dem sich für euch die Investition in das innovative Auto lohnt. In der Realität geht ihr dann, wie gewöhnlich, tanken und zahlt den Preis, der an der Anzeigetafel steht. Ist er bei 1,70 Euro pro Liter geblieben, zahlt die Bundesregierung euch für jeden Liter 0,30 Euro. Ist er zum Beispiel auf 2,30 Euro pro Liter gestiegen, müsst ihr der Bundesregierung die Differenz zahlen, also 0,30 Euro pro Liter.
Auf diese Weise habt ihr eine Investitionssicherheit bekommen, die das innovative Fahrzeug für euch wirtschaftlich attraktiver macht als das moderne. Gleichzeitig hat der Staat das öffentliche Gut des Klimas beziehungsweise der Atmosphäre ein kleines Stück geschützt.
Und wie geht’s jetzt weiter?
Zunächst gilt es abzuwarten, da konkrete Details zur Ausgestaltung der CCfD noch nicht bekannt sind. Sicher scheint zu sein, dass Investitionen, die zu einer CO2-Reduktion führen, zukünftig subventioniert werden sollen. Industrieunternehmen, die eine solche Investition aktuell planen, sollten die Geschehnisse aufmerksam verfolgen und eventuell mit dem Baubeginn warten. Denn ob eine Förderung auch rückwirkend, also nach Baubeginn, genehmigt werden kann, bleibt abzuwarten.
Offen bleibt zudem die Frage, wann mit der Einführung von CCfDs zu rechnen ist. Habeck hat angekündigt, dass alle Verfahren rund um die Einführung der neuen Klimaschutzmaßnahmen bis Ende 2022 abgeschlossen sein sollen. Ein erstes Paket dieser Maßnahmen soll bis Ende April veröffentlicht werden. Das könnte bedeuten, dass die ersten Klimaschutzverträge noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Wir dürfen gespannt bleiben.