29. März 2023 von Julian Bornkopp
Barrierefreiheit im Internet / am PC – Ein Erfahrungsbericht
Meine Motivation
Die Motivation für diesen Blog-Beitrag ist mein letztes sowie mein aktuelles Projekt: Ich bin hier als Frontend-Entwickler tätig und konnte somit einige Design-Entscheidungen miterleben und beeinflussen.
Zum Hintergrund möchte ich zunächst etwas zu meiner Sehbehinderung sagen. Durch einen Gendefekt (Albinismus) sind meine Augen in vielerlei Hinsicht geschädigt, was zu einer hochgradigen Sehbehinderung führt. Dazu gehören Lichtempfindlichkeit und verminderte Sehschärfe.
Was bedeutet das nun für die Benutzung von PCs?
Allgemein verursacht jede Form der Sehschwäche andere Probleme bei der Benutzung von PCs, jedoch gibt es ein paar gemeinsame allgemeine Herausforderungen, denen sich Menschen mit einer Sehschwäche stellen müssen.
Kontraste
Die Verwendung von richtigen Farben ist eines der wichtigsten Dinge bei der Gestaltung von Anwendungen, da sie dafür sorgen können, dass die Anwendung entweder gut genutzt werden kann oder komplett unbrauchbar wird. Wenn die Hintergrundfarbe beispielsweise eine Sättigung von mehr als 40 Prozent besitzt, kann es schwer werden, den Text vernünftig zu entziffern. Ein Beispiel dafür ist der folgende Satz:
In diesem Beispiel wurde ein geschwärzter Blauton (Blau mit hohem Schwarzanteil) mit einer Hintergrundfarbe mit aufsteigender Sättigung benutzt, von 0 Prozent in 20 Prozent-Schritten bis 80 Prozent. Natürlich ist es auch für Menschen ohne Sehbehinderungen irgendwann schwer, den Text vom Hintergrund separieren zu können, jedoch fängt es für mich beispielsweise schon bei der Hintergrundsättigung von 20 Prozent an, problematisch zu werden.
Zoom or no Zoom?
Mittlerweile sind glücklicherweise die meisten Websites so angepasst, dass sie responsiv gebaut werden und es nun möglich ist, die Website in unterschiedlichen Auflösungen mit gleichbleibender Qualität zu nutzen. Es gibt allerdings auch heute noch Anwendungen, die auf eine Auflösung fixiert werden, was wiederum zu dem Problem führt, dass einige Websites schwierig zu benutzen sind. Meine standardmäßige Browserskalierung liegt zwischen 140 und 160 Prozent. Das lässt manche Seiten interessant aussehen und schwer zu benutzen. Desktop-Anwendungen wie zum Beispiel Spiele können ähnlich problematisch werden, da es auch heute noch recht selten ist, dass man sich das User Interface entsprechend den eigenen Anforderungen skalieren und gestalten kann.
Farbverläufe
Farbverläufe können zwar sehr schön aussehen, sie sollten allerdings mit Vorsicht eingesetzt werden. Im vergangenen Projekt wurde irgendwann ein neues Frontend-Design-System vorgestellt, das aus einem dunkelblaugrünen Hintergrund (Farbverlauf) bestand. Die Knöpfe hatten ebenfalls als Hintergrund einen blaugrünen Farbverlauf und dunkelblauen Text. Demnach war es teilweise sehr mühsam, die Texte zu lesen, da der Farbverlauf den Fokus auf den Text ordentlich erschwert hat.
Wo liegt das Problem?
Die obengenannten Pain Points gehen leider meist über „Das ist nervig“ oder „Das kann ich nicht benutzen“ hinaus. Die Benutzung von Anwendungen mit den oben geschilderten Problemen kann leider je nach Sehbehinderung mehr oder weniger gravierende Folgen haben. Bei mir führt beispielsweise die Benutzung solcher Anwendungen über längere Zeit zu starken Kopfschmerzen, die sich dann auch zu einer Migräne entwickeln können. Daher versuche ich mittlerweile vermehrt darauf zu achten, dass bei der Gestaltung des Frontends in den aktuellen Projekten solche Design-Entscheidungen nach Möglichkeit vermieden werden.
Was kann da helfen?
Da sich die Technik immer weiterentwickelt, gibt es glücklicherweise einige Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen. Da es für diesen Beitrag sonst den Rahmen sprengen würde, werde ich hier nur auf technische Hilfsmittel für Menschen mit Sehbehinderungen eingehen.
Bei Apple-Betriebssystemen gibt es zum Beispiel die meiner Meinung nach sehr sinnvolle Funktion, das gesamte System zu zoomen. Das funktioniert stufenlos mit dem Mausrad und fühlt sich sehr natürlich an. Der Zoom ist dabei entkoppelt von anwendungseigenen Zooms wie dem Browserzoom, was die pixelgenaue Positionierung von Frontend-Komponenten sehr angenehm macht. Eine ähnliche Funktion bietet auch die Windows-eigene Bildschirmlupe. Jedoch ist diese nur in festen Schritten einstellbar und erfordert eine Tastenkombination oder einen Klick, um die Zoomstufe zu verändern.
Außerdem besteht seit geraumer Zeit die Möglichkeit, verschiedene Design-Themes zur Veränderung des Kontrasts auszuwählen, was auch Menschen mit beispielsweise einer Rotgrünschwäche helfen kann.
Normen und Richtlinien
Wie euch vermutlich bekannt sein wird, existieren seit längerem einige Normen und Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung von Webapplikationen, die teilweise sogar auf internationaler Ebene gelten.
International gibt es die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), auf EU-Ebene die EU-Richtlinie 2102 und in Deutschland die Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV). Diese Normen und Richtlinien beschreiben in unterschiedlichen Abstufungen Anforderungen, die eine barrierefreie Website erfüllen muss. Sie gelten jedoch in Deutschland aktuell lediglich für staatliche und behördliche Websites. Diese Websites sind allerdings ein schönes Beispiel dafür, dass das Thema der Barrierefreiheit recht komplex werden kann.
Behördliche Websites funktionieren mittlerweile zwar mehr oder weniger vernünftig im Kontext der Barrierefreiheit, leiden aber dann wieder im allgemeinen Design, da sie eher gezwungen wirken und sich nicht logisch bedienen lassen – Beispiel: die Website des Einwohnermeldeamts in Dortmund.
Fazit
Die von mir in diesem Beitrag geschilderten Punkte kratzen gerade mal an der Oberfläche des Themenkomplexes der Barrierefreiheit. Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe unterschiedlichster Behinderungen, die ganz andere Auswirkungen auf die Benutzung von PC- oder Webanwendungen haben können.
Dieser Beitrag soll keinesfalls dazu aufrufen, es mit der Barrierefreiheit zu übertreiben. Er soll lediglich darauf aufmerksam machen, dass es Dinge gibt, die bei der Gestaltung eines User Interface leicht vermeidbar sind und eine große Wirkung zeigen können.
Optimal wäre es allerdings meiner Meinung nach, wenn die gängigen User Interface Frameworks weiter im Punkt Barrierefreiheit ausgebaut würden, damit in Zukunft die Barrierefreiheit ein grundsätzlicher Bestandteil der Frontend-Entwicklung wird und nicht ein Zusatzaufwand bleibt, der am Ende der Entwicklung noch eben nachgeholt werden muss.