10. März 2023 von Karsten Pralle
Auswahl von CRM-Systemen – Eine Blaupause zum Auffinden des idealen CRM-Tools
Die Transformation des eigenen Geschäftsmodells, das heißt die Digitalisierung und das damit verbundene Erschließen von Kostenpotenzialen in Kernprozessen, erfordert massive Investitionen in IT-Infrastruktur und Softwareprodukte. Im Fokus stehen dabei ganz besonders die Marketing- und Vertriebsaktivitäten der Unternehmen, da sie essenziell für eine erfolgreiche Geschäftssteuerung sind. Allem voran werden diese Aktivitäten optimal durch moderne Customer Relationship Management Tools (kurz CRM-Tools) unterstützt, die mittlerweile weitaus mehr bieten als nur reine Kontaktverwaltungsfunktionen.
Wie man sich dem Auffinden einer individuellen und optimal geeigneten CRM-Lösung nähern kann, erkläre ich in diesem Blog-Beitrag. Weiterhin betrachte ich Architekturfragen und die speziellen Herausforderungen bei der Auswahl einer CRM-Lösung für den Versicherungsbereich.
Vorgehensmodell
Jedes Geschäft ist anders und jedes Unternehmen kennt sein Geschäft selbst am besten. Daher ist Ausgangspunkt eines jeden CRM-Vorhabens das Vorhandensein einer klaren Unternehmensstrategie. Diese gibt – basierend auf dem aktuellen wie auch künftigen Produktportfolio – die vertriebliche Marschrichtung online wie offline vor und beinhaltet so einen klaren Rahmen für die erforderlichen Supportprozesse. Nach wie vor existieren in jedem Unternehmen auch wichtige Kopfmonopole, deren Fachwissen für eine CRM-Auswahl unabdingbar ist.
Neben den allgemeinen Vorgaben für Kosten und Projektparameter existieren mittlerweile auch weitreichende Erfahrungswerte, welcher Funktionsumfang bei modernen CRM-Systemen State of the Art zu sein hat, ganz unabhängig davon, ob es sich um On-Premise-oder SaaS-Lösungen handelt. Aus allen bis dato gewonnenen Informationen wird dann ein individueller Kriterienkatalog aufgebaut, an dem potenzielle CRM-Lösungen gemessen werden können. Folglich ergibt sich eine logische Abfolge von Evaluierungsaktivitäten:
- Strategische Vorgaben
- Experteninterviews
- Kriterienkatalog
- Anbieterscreening und Benchmark
- Architekturfragen
- Angebotsprozess/Ausschreibung
User sind Key – Anwenderfeedback fördert Akzeptanzkriterien zutage
Die Erfahrung aus zahlreichen Evaluierungsprojekten zeigt, dass die künftigen Userinnen und User noch immer am besten wissen, was sie wollen. Gerade sie kennen die zentralen Pain Points der Vergangenheit. Um die Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern und deren Unterstützung bereits während des Auswahlprozesses zu erhalten, müssen gerade diese Stakeholder so frühzeitig wie möglich in die Überlegungen einbezogen und deren Anforderungen abgeholt werden. Als ausgesprochen hilfreich haben sich hier strukturierte Experteninterviews erwiesen. Diese Interviews sollten von einer oder einem unabhängigen Dritten anhand eines zuvor erarbeiteten Fragenkatalogs durchgeführt werden, um auf neutralem Boden so viele relevante Informationen wie möglich zu erhalten. Die Interviews können in einem zweiten Vertiefungsgespräch gegebenenfalls durch sogenannte Subjekt Matter Experts (SME) unterstützt werden. Dabei handelt es sich um neutral agierende Spezialistinnen und Spezialisten, die auf dem Gebiet von CRM über ein tiefes Wissen verfügen. Die Unterstützung und das Hinzuziehen von SME ist darüber hinaus ein wirksames Qualitätskriterium, um die künftige Entscheidung zu einem CRM umfassend zu objektivieren und alle relevanten Kriterien der individuellen Einsatzsituation berücksichtigt zu haben.
Der Kriterienkatalog – das initiale Maß der Dinge
Aus den Erkenntnissen der vorgenannten Interviews werden alle fachlichen, nichtfachlichen und sonstigen Anforderungen an das künftige CRM zusammengetragen. Zu den fachlichen Kriterien können zum Beispiel Anforderungen im Hinblick auf die konkrete Unterstützung bestimmter Fach- oder Geschäftsprozesse gehören. Zu den nichtfachlichen Anforderungen gehören beispielsweise ganz bestimmte Vorgaben für die Usability oder die Performance der Anwendung. Mit sonstigen Anforderungen können unter anderem anbieter- oder produktbezogene Vorgaben oder gar Referenzen und Erfahrungswerte des Anbieters einen Eingang in die Bewertung finden. Die Betrachtungstiefe beziehungsweise der Granularitätsgrad der Anforderungen im Kriterienkatalog kann dabei beliebig nach verfügbaren Ressourcen, Budget und oder einer zu erreichenden Entscheidungsqualität skaliert werden. Im Ergebnis dient der Kriterienkatalog als Benchmark-Instrument für potenzielle Anwendungen. Als ein wichtiger Faktor hat sich erwiesen, die Anforderungen als Use Cases beziehungsweise geschlossene Fragen zu formulieren, so dass vorgegebene Antwortformate festgelegt werden können, die eine standardisierte Auswertung und damit eine erste Vergleichbarkeit der Ergebnisse zulassen.
Anbieterscreening und Benchmark
Der Katalog kann Produktgebern im Rahmen eines Request for Information (RfI) zur Verfügung gestellt werden. Den Scope beziehungsweise die sogenannte Longlist der Anbieter kann durch eigene Recherchen oder den Erwerb entsprechender Marktstudien und unter Berücksichtigung unternehmensinterner Vorgaben erstellt werden. Für die Bemessung der Antwortfrist des RfI hat sich gezeigt, dass trotz aller Dienstleistungsorientierung den Anbietern ausreichend Zeit eingeräumt werden muss. Dies ist frühzeitig bei den Planungen zu berücksichtigen. Der Grund hierfür ist, dass diese spezialisierten Dienstleister aktuell in einem sehr dynamischen Marktumfeld operieren, das von hoher Auslastung und zunehmend international agierenden Rollen (SME/Presales) geprägt ist. Die Beantwortung des Kriterienkatalogs erfordert, gerade bei starker Individualisierung und Granularität, ein ganzes Team aus Expertinnen und Experten, das die Antworten in Erfahrung bringen und abstimmen muss. Wie zuvor gesagt, wird durch die vorgegebenen Antwortformate eine statistische Auswertung ermöglicht. So kann ein Benchmarking vorgenommen werden, der zur Festlegung einer Shortlist dient.
Architekturbrille
On-Premise oder SaaS, Integrationsfähigkeit oder Systembrüche? Diese und viele andere technische Fragen stellen sich bei der Auswahl eines CRM. Daher ist in jedem Falle auch die Architektursicht zu berücksichtigen und in das Verfahren einzubinden. Dies kann bereits im Zuge der Erstellung des Kriterienkatalogs erfolgen, spätestens aber bei der Auseinandersetzung mit den Shortlist-Kandidaten und vor der finalen Entscheidungsfindung. Sofern im Unternehmen selbst keine hinreichende Architekturexpertise gegeben ist, stellen unabhängige Beratungsunternehmen hier entsprechende Expertise zur Verfügung, um gegebenenfalls kritische Projekthürden frühzeitig zu identifizieren.
MVP statt Big Bang
Unternehmen stehen bei der Projektplanung vor der Herausforderung, die Art der Einführung zu wählen. Diese Entscheidung ist abhängig von einer Vielzahl von Einflussfaktoren. In der Praxis hat sich gezeigt, dass im Falle von CRM-Systemen in jedem Fall in Iterationen vorgegangen werden sollte, indem ein erstes MVP mit einem Musterprozess oder -produkt entwickelt und getestet werden sollte. In weiteren Iterationen wird das Portfolio der Geschäftsprozesse oder der verwalteten Produkte dann vervollständigt, wobei die zuvor gewonnenen Erfahrungswerte jeweils berücksichtigt werden. Damit wird sichergestellt, dass während der Entwicklung beziehungsweise Einführung die Komplexität überschaubar bleibt und sukzessive eine performante Anwendung entsteht, wie sie in der ursprünglichen Intention des Unternehmens gewünscht wurde. Gerade bei den Themen Testing und Qualitätssicherung (QS) sowie bei der Produktivsetzung zeigt die phasenweise beziehungsweise interaktive Einführung ihre Vorteile. Eine Big-Bang-Einführung können sich hingegen all jene Unternehmen leisten, die einen besonderen Fokus auf Test- und QS-Aktivitäten im Projekt legen und die hierfür erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen können.
Lessons Learned
Die Praxis zahlreicher CRM-Projekte zeigt immer wieder sehr ähnliche Erfolgsfaktoren. Unternehmen, die Standardsoftware und Best Practices setzen, verzeichnen zeitnah maßgebliche Verbesserungen in der Prozessqualität und Geschäftsentwicklung. Auch stellen Unternehmen fest, dass von Beginn an ein Vertrauen in Cloud-Anwendungen ratsam gewesen wäre, um langfristig hohe Migrationsaufwände zu vermeiden. Zudem ist ein frühzeitiger und strukturierter Wissensaufbau in der IT und den Fachbereichen überaus relevant, um die modernen Anwendungen betreuen zu können. Die Stichworte lauten hier Workflow und Konfigurierbarkeit.
Moderne CRM-Systeme bringen beispielsweise eine Workflow-Komponente mit, die es der IT oder geschulten Fachanwenderinnen und -anwendern erlaubt, neue individuelle Workflows zu konfigurieren beziehungsweise bestehende Fachprozesse so anzupassen, dass keine Entwicklungsaktivitäten notwendig sind. Ein schlagender Vorteil moderner CRM-Anwendungen, da damit zum Beispiel die Time to Market neuer Produkte maßgeblich verringert werden kann.
Aufgrund der zentralen Stellung eines CRM und der oftmals breiten Nutzerbasis setzt die Koordination des Projekts eine vorausschauende und zuverlässige Planung insbesondere der Entwicklungs- und Review-Zyklen voraus. Ein sauberes Timeboxing mit vorausschauender Planung und Vorbereitung der jeweiligen Nutzergruppen sowie der IT ist unerlässlich. Auch müssen die Herausforderungen rund um die Datenhoheit zwingend im Vorfeld gelöst sein. Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass sich ein höheres Investment in Business-Analyse, also in die Anforderungserhebung und -definition, stets auszahlt, da es dadurch zu signifikant weniger Projektverzögerungen in der Umsetzung kommt. Zudem ist die Bereitstellung eines fachlichen Projektleitenden beziehungsweise Chief Product Owner aus einem zentralen Anwendungsbereich unerlässlich, da er mit seinem internen Netzwerk und mit den entsprechenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattet für einen plangerechten Projekterfolg sorgen kann.