29. Januar 2025 von Andreas Kuhl
Reifegrade von Kundenportalen
Kundenportale bringen digitale Services zur Kundschaft. Um ein solches Portal erfolgreich einzuführen oder weiterzuentwickeln, ist nicht allein dessen Funktionsumfang das entscheidende Erfolgskriterium. Vielmehr sind Methodik, Technologie und Change Management gleichwertige Erfolgsfaktoren, um der Vision eines ganzheitlichen Kundenportals so nah wie möglich zu kommen. Reifegrade helfen, um diese komplexe Transformation erfolgreich zu gestalten.
Kundenportal ist nicht gleich Kundenportal
Waren Portale in der Frühzeit des Internets noch eher Informationssammlungen, werden dort mittlerweile immer größere Teile der Geschäftsbeziehung abgewickelt. Daher ist der Begriff „Kundenportal“ auch nicht eindeutig belegt und es finden sich viele mögliche Ausprägungen, welche sich alle als Kundenportal bezeichnen lassen: Neben der Verwaltung der eigenen Stammdaten oder dem Abruf von Informationen und Dokumenten finden sich in modernen Portalen Commerce-Funktionalitäten für physische und digitale Güter sowie Dienstleistungen, Vertragsmanagement, Ticketing, Field Service Management und noch vieles mehr.
Dabei kann die dahinter liegende Digitalisierung unterschiedlich weit getrieben werden: Wird nur Input gesammelt und Feedback gegeben oder wird der komplette Prozess auf Basis des Inputs vollautomatisch gesteuert? Über die reine Vernetzung von Software-Applikationen hinaus bietet gerade die immer weiter verbreitete Anbindung von Geräten und Maschinen an das Internet großes Potential für möglichst hohe Automationsgrade und damit für Effizienzgewinne, Kostenersparnisse und Geschwindigkeitssteigerungen.
Moderne Vollintegration für eine optimale User Journey
Große Funktionsumfänge bringen allerdings auch Herausforderungen an die Benutzerfreundlichkeit mit sich. Mit der wachsenden Zahl an Funktionalitäten wächst auch die Zahl der beteiligten IT-Systeme. Lange Zeit war es gängige Praxis, verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Benutzerschnittstellen nebeneinander zu stellen und Integration lediglich durch einen einheitlichen Login (Single Sign-On) oder eine durchgängige Navigationsstruktur abzubilden. Im Optimalfall wurde das Design angeglichen, um Systembrüche zu kaschieren. Der Schönheitsfehler solcher Ansätze: User Journeys erstrecken sich oft über Systemgrenzen hinweg, womit User zur Erfüllung einer Aufgabe mehrere spezialisierte Systeme nutzen müssen. Ein gängiger Fall aus dem Bereich der Manufacturing Industry ist etwa die Bestellung eines Ersatzteils und die zugehörige Buchung des Servicetechnikers zum Einbau. Potenziale, wie Cross-Selling, können mit dieser Herangehensweise nicht immer vollständig gehoben werden.
Vollintegrierte Kundenportale
Die Zukunft des digitalen Kundenservices
Die digitale Transformation erfasst auch das produzierende Gewerbe und hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit im Werk an den Maschinen. Kundinnen und Kunden dieser Unternehmen erwarten auch mit ihren Lieferanten eine nahtlose und effiziente Interaktion, Transparenz über alle Prozesse hinweg und Echtzeit-Einblicke in Daten, sowie deren intelligente Nutzung.
Einen besseren Weg bildet der moderne Ansatz der Vollintegration
Die verschiedenen spezialisierten Systeme werden im Hintergrund “versteckt” und den Usern wird eine ganzheitliche Oberfläche präsentiert, welche optimal auf die User Journeys zugeschnitten ist, statt auf Funktionsumfänge einzelner Systeme. Um auf obiges Beispiel aus der Manufacturing Industry zurückzukommen: In einem vollintegrierten Portal sieht der User nach dem Login auf einen Blick, welche Maschine Probleme bereitet und welches Ersatzteil bei diesem Problem häufig zum Einsatz kommt (möglicherweise sogar ein moderneres Material, als in seiner Maschine verbaut wurde). Während des Kaufprozesses bucht er den Servicetechniker gleich mit, aktualisiert das Handbuch seiner Maschine mit dem neueren Ersatzteil und erhält einen Eintrag in der Wartungshistorie der Maschine – das alles in einem durchgängigen, intuitiven Prozess ohne in der Benutzeroberfläche hin- und herspringen zu müssen.
Reifegrade vollintegrierter Kundenportale
Oftmals findet die Entwicklung eines Kundenportals auf Basis einer bestehenden Lösung statt. Häufig war zum damaligen Entwicklungsstart die Vision nicht gänzlich klar und es wurden über die Zeit immer mehr opportunistische Funktionen ergänzt. Irgendwann ist bei einer solchen Vorgehensweise der Zeitpunkt erreicht, dass die bestehende Lösung nicht weiter skaliert und ein Umstieg auf eine andere technologische Basis oder Architektur nötig wird. Da in einem solchen Szenario das Portal ständig wuchs, ist dessen Ablösung in einem “Big Bang”-Release ein zu großes und risikoreiches Unterfangen. Doch selbst wenn ein Portal von Grund auf und ohne Altlasten aufgebaut werden soll, stellt einen der erstrebte umfangreiche Funktionsumfang häufig vor die gleichen Herausforderungen. Die übliche Herangehensweise – zuvorderst eine leitende Vision zu entwickeln und sich von dieser leiten zu lassen – hilft da nur begrenzt. Die nachhaltige Lösung des Problems heißt Reifegrade.
Reifegrade sind – vereinfacht gesprochen – Ausbaustufen des Portals. Leider gestaltet es sich komplexer, als lediglich ein Minimum Viable Product (MVP) aus Nutzersicht zu definieren und weitere Funktionen in späteren Ausbaustufen nachzuliefern. Es gilt, mit wertschöpfenden, aufeinander aufbauenden Reifegraden, das Portal von der digitalen Wüste hin zu einer der ursprünglichen Vision möglichst nahe kommende Lösung zu entwickeln.
Hierbei sind viele Anforderungen von zahlreichen Stakeholdern zu berücksichtigen, wodurch eine Vielzahl von Perspektiven in der Planung Berücksichtigung finden müssen:
User Journeys
Häufig ist es sinnvoll, sich zuerst auf eine bestimmte Zielgruppe zu konzentrieren (bspw. Endkunden, Großhandel und Innen- bzw. Außendienst) und dort ein stimmiges Erlebnis zu schaffen, bevor man die nächste Zielgruppe ins Visier nimmt. Unterschiedliche Zielgruppen nehmen somit unterschiedliche Wege, wie sie sich durchs Portal bewegen, um ihre Aufgaben zu erledigen. Die Staffelung der Zielgruppen über die Zeit ist somit die erste Dimension erfolgreicher Reifegrade.
Referenz GEA Group AG
Neues Kundenportal zur Optimierung der Customer Experience
Die Begleitung des Kunden über den gesamten Lebenszyklus der Maschinen und Anlagen bekommt einen immer größeren Stellenwert. Ein digitales Kundenerlebnis zur Steigerung der Verfügbarkeit, Produktivität und Nachhaltigkeit der Kundenproduktion ist zwingend, um Reach, Traffic und Conversion durch Bündelung zu maximieren. Gemeinsam mit adesso konnte die GEA Group AG dies umsetzen.
Story Mapping und MVP
Sind die Zielgruppe(n) und deren User Journeys nun identifiziert, sammelt man die zur Durchführung der Aufgaben benötigten Touchpoints, um daraus später Stories und Funktionen ableiten zu können. Eine Priorisierung nach der MoSCoW Methode in MUST, SHOULD, COULD und WON’T hilft, einen MVP zu schnüren und stellt eine weitere Dimension gelungener Reifegrade dar.
IT-Bebauungsplan
Die Anpassungen der IT-Landschaft sind eine der komplexesten Dimensionen der Reifegrade: Altsysteme müssen ausgephast, neue Systeme eingeführt und Daten tunlichst migriert werden. Dabei sind die Anforderungen an einen ganzheitlichen IT-Bebauungsplan entkoppelt vom Portal (und meist deutlich weitergehend), müssen aber selbstverständlich bei der Umsetzung des Portals als technologisches Fundament Berücksichtigung finden. Somit nimmt der Bebauungsplan starken Einfluss auf die zu wählende Plattform und mögliche Funktionalitäten. Umgekehrt nimmt das Portal oft Einfluss auf den Bebauungsplan, wenn mit dem Status Quo nicht realisierbare Features ein Austausch/Upgrade der dahinter liegenden Systeme nötig machen. Diese Dimension erfolgreicher Reifegrade ist oft eine der komplexesten.
Weitere Dimensionen
Neben den obigen Dimensionen gibt es noch weitere, die in die Überlegungen der Reifegrad-Zuschnitte einfließen sollten: Vielleicht soll an wichtigen Messeterminen eine bestimmte Funktion demonstriert werden, Ressourcen können nur nur begrenztem Umfang (und ggf. nur in bestimmten Zeiträumen) zur Verfügung stehen, Risiken wollen smart gemanagt werden, bestimmte Umstellungen bergen größere Risiken als andere etc. Und möglicherweise müssen Systeme durch auslaufende Lizenzen oder ähnliches zu einem bestimmten Stichtag ausgephast werden.
Reifegrade gestalten
Gute Reifegrade schneidet man, indem man möglichst viele der obigen Dimensionen berücksichtigt. Essenziell aber bleibt: Das Nutzenversprechen jedes Reifegrades muss klar sein, die Arbeitspakete stemmbar bleiben, zeitliche Planungen realistisch (und mit ausreichend Puffer für Integrationstests und Fehlerbehebung) gestaltet sein und Risiken handhabbar bleiben.
Als nützlich hat es sich erwiesen, zuerst eine technologische Basis zu schaffen und mit einigen Benefits für eine bestimmte Benutzergruppe zu versehen. Später auszutauschende Systeme können in diesem Reifegrad übergangsweise noch eingebunden werden, damit essenzielle Funktionen in dieser Phase nicht vorübergehend verschwinden. In den nächsten Reifegraden können dann sukzessive weitere Benutzergruppen adressiert, Backend-Systeme getauscht und Funktionen nachgeliefert werden.
Vision und Status Quo
Im finalen Reifegrad entsteht für die Benutzer eine Anlaufstelle, welche vollumfänglichen Self-Service bietet und alle Hardware mit einbindet; KI-generierte Einsichten und Empfehlungen verbessern die Effektivität während sich die eigentliche Arbeit durch eine vollintegrierte Benutzeroberfläche wesentlich effizienter gestaltet.
Eine solche Ausbaustufe erfordert ausgereifte Unternehmensprozesse, eine moderne IT Systemlandschaft mit hohem Vernetzungsgrad und Know-How in der Software-Entwicklung. Viele Unternehmen sind noch nicht so weit. Aber Reifegrade sind ein geeignetes Werkzeug, um die dafür nötige Transformation erfolgreich zu gestalten.
Treiber der Digitalisierung
Eine sorgfältig durchgeführte Planung und Umsetzung von Reifegraden hat Auswirkungen auf das ganze Unternehmen: Die Inventarisierung von Unternehmensprozesse fördert Potentiale für deren Optimierungen zu Tage. Die Abbildung der Prozesse im Portal und die damit einhergehende Erneuerung dahinter liegenden IT-Landschaft bieten zudem das Potential, immer größere Teile der Geschäftsabläufe zu automatisieren. Das neue Kundenportal resultiert dann in viel mehr als “nur” verbessertem Kundenservice und aktualisierten Systemen: Es wirkt als Treiber der Digitalisierung des gesamten Unternehmens.
Sie suchen für diese Transformation nach einem starken Partner? adesso führt Ihr Unternehmen auf dem Weg mit Erfahrung und Expertise sowie mit Tat- und Innovationskraft: Sprechen Sie uns an!
Außerdem interessant: